Dr. Günther Schwab machte mich auf seine jüngst erschienene Dissertation, eine zweibändige Echtheitsuntersuchung der Paulusbriefe, darunter auch der bisher als echt betrachteten Briefe Phlm, Gal, Phil, 1 Thess, aufmerksam. Das Beweisziel klingt vielversprechend. Leider war es mir bisher noch nicht möglich, mich näher mit dem Werk zu beschäftigen. Bei der Echtheitskritik des Galaterbriefs scheint, wie aus dem Inhaltsverzeichnis hervorgeht, vor allem die schon von Bruno Bauer beobachtete Abhängigkeit von der Apostelgeschichte von großer Bedeutung zu sein.
Das Beweisziel: „Als Beitrag zur Erstellung einer philologisch-historisch nachvollziehbaren echtheitskritischen Beurteilung des Corpus Paulinum und Korrektiv einer in der Literatur zu den sogenannten Protopaulinen deutlich wahrnehmbaren einseitigen Favorisierung der Echtheitsmöglichkeit weisen diese Studien nach, dass die bisherigen Echtheitsurteile über vier der sieben „Protopaulinen“ — Philemonbrief (Phm), Philipperbrief (Phil), Galaterbrief (Gal) und erster Thessalonikerbrief (1Thess) — unter Ausblendung echtheitskritisch beachtenswerter Merkmale dieser Texte zustande gekommen sind. Es wäre kein Zeichen von Parteilichkeit oder irgendeiner anderen wissenschaftlichen Untugend, würde die etablierte Paulusforschung die Möglichkeit, dass Phm, Phl, Gal und 1Thess fiktive, nicht von Paulus stammende Briefe sind, ernster als bisher nehmen und die Echtheitsfrage für jeden einzelnen „protopaulinischen“ Text neu aufrollen.“
Aus dem Geleitwort von Prof. Wolfgang Speyer
Da der Kanon des Neuen Testamentes Quelle des christlichen Glaubens ist, waren und sind die Theologen bei der Kritik der Verfasserschaft, als die die Kirche letztlich den Heiligen Geist annimmt, weit zurückhaltender als gegenüber den ‚Apokryphen‘. Im letzten halben Jahrhundert nahmen aber immer mehr Bibelwissenschaftler zur Kenntnis, dass nicht nur die meisten Apostelschreiben unecht sind, sondern dass auch das Corpus Paulinum pseudepigraphische Briefe in einem größeren Maße enthält. So zogen sie sich schließlich auf die Festung von sieben unbezweifelbaren Briefen des Apostels Paulus zurück.
Von diesen Voraussetzungen aus konnte Dr. Günther Schwab, der bereits Aufsätze zu Sophokles und Sallust veröffentlicht hat, die große Aufgabe auf sich nehmen, das, was die neutestamentliche Wissenschaft bisher unterlassen hat, nachzuholen, nämlich die Gesichtspunkte zusammenzutragen, die gegen die Authentizität von vier der sieben ‚echten‘ Briefe des Paulus sprechen: an Philemon, die Galater, die Philipper und an die Thessaloniker (1 Thess). Von den geplanten Bänden, die diese und die übrigen ‚echten‘ Briefe sprachlich-stilistisch und inhaltlich untersuchen sollen, liegt hiermit der erste vor.
Der Verfasser analysiert in der weit gespannten Einführung die Möglichkeiten der Echtheitskritik auf der Grundlage der philologisch-historischen Methode, wobei er auch die Vorgangsweisen der heutigen Kriminalistik mitberücksichtigt. So erhalten wir einen ersten kritischen Überblick über die bisherige Geschichte und den Inhalt der Echtheitskritik im Blick auf das Corpus Paulinum und auf dessen Rezeption im 2. Jahrhundert. Dabei sind die Stimmen der Bibelwissenschaftler des 19. Jahrhunderts ebenso präsent wie die des 20. und des 21. Jahrhunderts.
Mit Hilfe der Möglichkeiten, die der Computer bietet, gibt der Verfasser im Hauptteil einen feinteiligen Sprach- und Stilvergleich zwischen den vier genannten Paulusbriefen und den übrigen Paulusbriefen sowie der Apostelgeschichte. Das Ergebnis dieser Untersuchungen zeigt, dass für die Annahme der Unechtheit mehr spricht, als bislang registriert worden ist. Dem üblichen Echtheitsurteil stehen beachtenswerte Indizienreihen entgegen.
Für den Mut und den Anstoß, die Paulus-Frage neu zu durchdenken, gebührt dem Verfasser der Dank der Mitforschenden.
STUDIES ON THE AUTHENTICITY OF THE FOUR MINOR PAULINE EPISTLES. Volume 1, half-volumes A and B.
As a contribution to a philologically-historically comprehensible assessment of the authenticity of the Pauline corpus and as corrective to the one-sided preference for the possibility of authenticity – a preference clearly visible in the research literature on the so-called proto-Pauline epistles – these studies demonstrate that the current judgments on the authenticity of four of the seven “proto-Pauline” writings – Philemon (Phm), Philippians (Php), Galatians (Gal) and First Thessalonians (1 Thess) – have been achieved by disregarding many features of these texts relevant for judging the probability of authenticity. It would not be a sign of bias or of any other scientific vice, if the mainstream of Pauline researchers took the possibility more seriously than up to now that Phm, Php, Gal and 1Thess are fictional letters originating not from the apostle Paul, and would be willing to reconsider the question of authenticity for every single “proto-Pauline” text.