Jesus? Tatsachen und Erfindungen

Von Hermann Detering

Jesusbücher gibt es viele, vielleicht zu viele. Ein Jesusbuch mit einem Fragezeichen war bisher noch nicht darunter. Nun ist es erschienen. Es heißt schlicht „Jesus?“, stammt aus der Feder von Harald Specht und hat den Untertitel: „Tatsachen und Erfindungen“.
Das Fragezeichen gibt die Richtung vor. Der Autor bemüht sich um Antwort auf Fragen wie z.B.: Hat Jesus wirklich gelebt? War er ein Mensch aus Fleisch und Blut? Oder ist er nur ein Phantom, die Erfindung einer frühchristlichen Sekte? Warum weist die Bibel zahlreiche Ungereimtheiten auf, wenn es um Jesu Herkunft, Geburt und Familie geht? Weshalb agierten die ersten christlichen Gemeinden im Geheimen? Was hat es mit dem rätselhaften Stern zu Bethlehem auf sich und wieso beteten noch im Mittelalter Christen vor dem Petersdom zu Rom die Sonne an? Und was haben Christus und Weihnachten mit der Wintersonnenwende zu tun? usw.
Die Antworten, dies sei vorweg gesagt, fallen anders aus, als es die heutigen Leser von Papst Benedikt XVI., Klaus Berger und Paul Verhoeven gewöhnt sein mögen: nachdenklicher, skeptischer, kritischer, mit einem Wort radikalkritischer. Bei der Alternative „Tatsachen oder Erfindungen“, „Fakten oder Fiktionen“ entscheidet sich der Autor in fast allen Fällen zugunsten der letzteren. Nicht aus Prinzip, sondern mit Argumenten, alten und neuen, stärkeren und schwächeren.
Den christlichen Quellen ist ein Abschnitt gewidmet („Jesus im Neuen Testament – irgendetwas stimmt hier nicht“) ebenso wie den nichtchristlichen: Josephus, Sueton, Tacitus und Plinius. Weil geschichtliche Vergewisserung hier nimmermehr zu finden ist, bleibt für den Verfasser „nichts, was wir noch zu glauben hätten.“ Doch ist es überhaupt vorstellbar, dass wir es bei der Gestalt Jesu mit einer Fiktion zu tun haben? Kapitel 5, die „Erfindung Jesu“, entwirft Szenarien, wie es hätte sein können und wie aus einem Mythos Geschichte werden konnte.
Der Verfasser beschließt sein Buch mit sieben Thesen. Das Buch, das mit dem Motto „De omnibus dubitandum“ begann, endet, wen wundert’s, mit der Feststellung, dass Jesus lebt, aber nie gelebt hat. Eine schlechte Botschaft nur für die, die ihren christlichen Glauben mit dem Fürwahrhalten historischer Tatbestände verwechselten.
Der Autor hat das Buch verfasst, weil er kein aktuelles deutschsprachiges Buch fand, das die historische Suche nach Jesus als Überblick für den Nichtexperten zusammenfasst. Die Lücke zu füllen, ist ihm voll und ganz gelungen. So ein Buch hat es seit langem im deutschprachigen Raum nicht gegeben. Eine spannende Tour durch die Geschichte der Leben-Jesu-Foschung – mit besonderem Schwerpunkt auf deren weithin vergessenem radikalkritischen Flügel, den „Zweiflern und Leugnern“ – glänzend geschrieben und trotz seiner gut 600 Seiten (654 mit Anmerkungen) sehr kurzweilig. Das richtige Buch für den Weihnachtsgabentisch für alle, die es schon immer etwas genauer wissen wollen und sich nicht mit frommen Sprüchen abspeisen lassen.

Dr. Harald Specht ist deutscher Wissenschaftler und Autor. Neben mehr als 70 wissenschaftlichen Publikationen sowie zahlreichen Drehbüchern und Filmkommentaren verfasste er auch mehrere Sachbücher und Romane.

Harald Specht: 
Jesus? Tatsachen und Erfindungen
Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2010 (19,90€) .