Der Gefälschte Paulus

Anzeigen und Rezensionen

Kurzbeschreibung in Humanist

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FOCUS: Der falsche Paulus (Roger Thiede)

Nr. 5 – 30 Januar 1995   Zum Artikel

FOCUS: Wer war Jesus? (Roger Thiede)

NR 22. – 1996     Zum Artikel

Blickpunkt: Der Wahnsinn hat Methode (Eta Linnemann)

24. 05. 2006    Zum Artikel

Theologische Literaturzeitung: Der Völkerapostel Paulus im Spiegel seiner neuesten Interpreten (Jürgen Becker)

Nr 11 – 122. Jg – Nov 1997 – Sp. 977-978

Die Auswahl der zu besprechenden Literatur ist zufällig. Eine Begründung für den kurzen Zeitraum, aus der die Literatur kommt, oder für die Selektion selbst wird darum auch gar nicht erst versucht. Da Forschungstrends und -Schwerpunkte nur für einen längeren Zeitraum aufgewiesen werden könnten,1 ist es das Ziel des Referates, allein über Veröffentlichungen, die zur Rezension vorliegen, aktuell zu unterrichten.

Nachdem es nun seit Jahren den „ganz anderen“ Jesus gibt, versuchen sich auch Paulus-Interpreten in diesem Genre. H. Detering2 erklärt alle Paulusbriefe für spätere Fälschungen; B. Zürner3 macht aus Paulus einen Atheisten. So ganz neu sind beider Thesen allerdings nicht: Detering fußt auf den holländischen Radikalkritikern; B. Zürner schreibt seine Paulusauslegung von dem „unbestechlichen Nietzsche“ her (546) und setzt dabei die Anthropologie von L. Klages als Maß. Von F. Nietzsche übernimmt er die inhaltliche Abqualifizierung des Apostels, allerdings ohne die antijüdische Komponente. Detering will für die Paulusbriefe eine „vollständige Unechtheitstheorie in ihrem inneren Zusammenhang“ darstellen (9). Zürner möchte Paulus „rigoros seiner Theologie, seines Amtes und seiner offiziellen Würde entkleiden“ und sein „Gedankenwerk … a-theologisch“ auffassen (29). Wer sich in verschiedener Weise so kraß außerhalb der recht stabilen gemeinsamen Basis der sonst je eigene Akzente setzenden Ausleger stellt, wird nicht erwarten, daß er viel Beifall erhält. Die Ursache für den fehlenden Beifall sollten dabei beide in erster Linie bei sich selbst suchen.

Denn wer allen Ernstes wie Detering behauptet, „Paulus“ sei das verklärte Bild des Simon Magus, wie es sich Marcion schnitzte, indem er die Urform der Paulusbriefe schuf, muß schon sehr fantasievoll mit den Quellen umgehen. Er muß zudem der Apg jeden Geschichtswert absprechen, und auch lClem sowie die Ignatiusbriefe zu späteren Fälschungen abstempeln, weil sie Paulus, bzw. Paulus und seine Schriften vor ihrer angeblich marcionitischen Entstehung bezeugen. Er muß auch zu der bizarren Vermutung Zuflucht nehmen, daß die marcionitischen Paulusprodukte dann von der Großkirche überarbeitet wurden, damit sie als verfälschte Produkte des Erzketzers Marcion auch im kirchlichen Kanon Aufnahme finden konnten. Wer einmal so großzügig im Urchristentum aufgeräumt hat, dem wird man es nachsehen, wenn er gleich auch noch von R. Augstein die These übernimmt, daß Jesus aus mehreren Figuren synthetisiert wurde (209). Damit ist aus der Jesuszeit und den ersten beiden Generationen des Urchristentums eine tabula rasa geworden. Solches Aufräumen macht dem Autor offenbar Spaß, so daß er gar nicht merkt, wie er sich 1000 eigene Probleme für die Erklärung des Christentums im zweiten Jahrhundert schafft und daß er sich eine methodisch seriöse Behandlung der Quellen erst noch aneignen muß.

Dies gilt auf andere Weise auch für Zürner. Er will mit ermüdend breitem Aufwand dem Leser erklären, daß das, was Paulus von seiner Biographie hier und da preisgibt, Fiktionen sind. Dazu gehören seine jüdische Vergangenheit, seine Verfolger­tätigkeit, seine Berufung und das Apostelkonzil. Überhaupt ist Paulus nach seinem eigenen Verständnis kein „Offenbarungsempfänger“ (342); er „redet (auch) über den göttlichen Geist nicht aus eigenem Erleben“ (435); das bekannte Hohelied der Liebe ist eine Verklärung seines eigenen „Furors“ (494); ja „Paulus ,glaubte‘ weder an Gott noch an Christus; er dachte und lebte als .Gottloser'“ (546). Um so mehr hat er seine Ge­meinden ausgeplündert (625) und den „Handelsgeist … bis in den Kern des Erlösungsmysteriums“ vordringen lassen (623). Dazu gehört ein Charakter, der als lieblos, gemüts- und gefühlsarm, unsozial und kaltherzig bezeichnet wird (643). Paulus war „ein gequälter Mann“ (661). In diesem Szenario fehlt eigentlich nur noch, daß in Umkehrung von IKor 7,7; 9,5 Paulus ein heimlicher, jedoch um so verklemmterer Triebtäter war. Dieser vom christlichen Sockel gestoßene Paulus ist – Nietzsches Weltanschauung und Christentumskritik lassen grüßen – im stillen natürlich ein eklatanter Einzelfall für das Elend des Christentums überhaupt.

Doch einmal davon abgesehen, daß eine fiktive Biographie für seine Zeitgenossen – vor allem auch für die Gegner des Apostels (Gal!) – ein gefundenes Fressen gewesen wäre, Paulus zu entlarven: Wie kommt es, daß seine Zeit, die für Scharlatane durchaus einen scharfen Blick besaß, nicht erkannte, was Zürner zweitausend Jahre später diagnostiziert? Vor lauter Eifer, aus einem Paulus mit dem Nimbus eines Heiligen das abgründige Gegenteil zu machen, verliert Zürner den Paulus der Geschichte aus den Augen. Hält es ein Mensch überhaupt durch, sich hinter so vielen Fiktionen zu verbergen? Was sollte ihn dazu bringen, so viel Versteckspiel zu betreiben? Warum blieb er nicht bei seinem erlernten Beruf, statt mit der ewigen Angst zu leben, seine Mimikry würde entdeckt? .

1 Den jüngsten Überblick über die Literatur und den Diskussionsstand bieten: H. Hübner, An. Paulus I, TRE 26, 1996, 133-153, und D. Flusser, Art. Paulus II, TRE 26, 1996, 153-160. Vgl. außerdem: H. Hübner, Paulusforschung seit 1945, ANRW II 25.4, 1987, 2649-2840; O. Merk, Paulus-Forschung 1936-1985, ThR 53, 1988, 1-81; F. W. Hörn, Paulusforschung, in: F. W. Hörn [Hrsg.], Bilanz und Perspektiven gegenwärtiger Auslegung des Neuen Testaments, BZNW 75, 1995, 30-59.

2 Detering, Hermann: Der gefälschte Paulus. Das Urchristentum im Zwielicht. Düsseldorf: Patmos 1995. 245 S. 8°. ISBN 3-491-77969-3.

3 Zürner, Bernhard: Paulus ohne Gott. Eine charakterologische Untersuchung. Bonn: Bouvier 1996. 826 S., 1 Farbtaf. gr.8c. ISBN 3-416-02619-5

Antwort  auf Jürgen Becker

Hermann Detering

Berlin, 4.1. 2005 –  Mit knapp 8 jähriger Verspätung habe ich heute die kurze Buchrezension  des „Gefälschten Paulus“  von Jürgen Becker, dem Verfasser des  Buches „Paulus, Apostel der Völker„, auf die Rezensionsseite gestellt.

Aufschlußreich an dem ansonsten wenig bemerkenswerten Artikel ist Beckers Eingangsbemerkung, daß Autoren, die „sich in verschiedener Weise so kraß außerhalb der recht stabilen gemeinsamen Basis der sonst je eigene Akzente setzenden Ausleger“ stellen – wie z.B. Detering und Zürner – nicht erwarten dürfen, daß sie dafür viel Beifall erhalten. Mit anderen Worten: Wer sich außerhalb des „mainstream“ begibt, liegt für Becker a priori falsch. Anstatt erst die Argumente für die Unechtheit sämtlicher Paulusbriefe zu prüfen und danach zu sehen, was von der „stabilen Basis“ der Ausleger noch übriggeblieben ist, gilt die Übernahme eines alternativen Paradigmas per se als methodischer Fehler, für die kein Beifall erwartet werden darf.

Abgesehen davon, daß es mir bei dem Buch weniger um Beifall als um eine erkenntnisfördernde  Auseinandersetzung zu tun war, scheint mir eine derartige methodische Prämisse für die Arbeitsweise des Theologen und Verfassers eines allgemein beachteten Paulusbuches recht erhellend. Hätte sich die Astronomie daran orientiert, wären wir sicher immer noch bei der Annahme des geozentrischen Systems.

Auf einzelne Beispiele für die Priorität der marcionitischen Fassung vor der katholischen, mit denen ich meine Auffassung untermauere (siehe z.B. Röm 1:1-7) und an denen Becker dem Leser seinerseite eine kleine Kostprobe  einer „methodisch seriösen Behandlung  der Quellen“ hätte geben können, wird gar nicht eingegangen.  Für Becker  ist es ganz allgemein eine „bizarre Vermutung“ „daß die marcionitischen Paulusprodukte … von der Großkirche überarbeitet wurden“. Warum diese Vermutung  bizarrer sein soll als die von Becker und den meisten anderen Theologen bis heute im Anschluß an die großkirchlichen Väter befürwortete Auffassung, daß Marcion die Briefe überbearbeitet haben soll, bleibt offen. Theologische Voreingenommenheit? Mangel an Phantasie? Oder vielleicht ein methodischer Verzicht darauf?

Ob sich der für die Paulusforschung auf Dauer positiv auswirkt, bleibt zu  bezweifeln.

 IDEA: Paulus ist keine Erfindung (Rainer Riesner)

 Nr. 7/95

Nach Jesus Christus wird nun  auch der bekannteste Apostel ins Zwielicht gebracht

 Ein Kommentar von Rainer Riesner

Jesus sagt im Matthäus-Evangelium über sich selbst: „Es ist für den Jünger genug, daß er ist wie sein Meister und der Knecht wie sein Herr. Haben sie den Hausherrn Beelzebul genannt, wieviel mehr werden sie seine Hausgenossen so nennen!“ (Matthäus 10,25). Nachdem einige Skandal-Bestseller in den letzten Jahren Jesus Christus ins Zwielicht zu bringen versuchten, ist jetzt der Apostel Paulus dran. Die Story war dem Nachrichtenmagazin „Focus“ (5/95) drei Seiten wert. Das ist schon fast die Obergrenze, die „Focus“ überhaupt einem Thema widmet. Es geht um das eben erschienene Buch „Der gefälschte Paulus“ des Berliner Theologen Hermann Detering (Patmos Verlag Düsseldorf, 248 Seiten, 32,80 DM). Der Untertitel lautet „Das Urchristcntum im Zwielicht“. Zwielicht wird denn auch in reichem Maß verbreitet.

Wie aus einem Magier ein Apostel gemacht wurde

In der seriösen neutestamentlichen Wissenschaft sind mindestens sieben Paulus-Briefe als echt anerkannt (Römer, 1.  und 2. Korinther, Galater, Philipper, 1. Thessalonicher, Philemon), die sechs übrigen unter seinem Namen dagegen mehr oder weniger umstritten. Detering hält nun auch diese sieben Schreiben für unecht, also nicht von Paulus verfaßt. Dafür beruft er sich auf reichlich abgestandene Argumente einiger englischer und holländischer Radikakritiker aus dem letzten Jahrhundert.

Verhältnismäßig neu ist Deterings Behauptung, Verfasser der Paulus-Briefe sei in der Mitte des 2. Jahrhunderts der Irrlehrer Marcion gewesen. Er war im Jahr 144 von der christlichen Gemeinde in Rom ausgeschlossen worden. Paulus, wie in derApostelgeschichte des Lukas und in den Paulus-Briefen gezeichnet wird, ist für Detering eine literarische Erfindung. Anknüpfen konnte Marcion als Fälscher der Briefe angeblich an eine Paulus-Legende. An ihrem Anfang hätte allerdings nicht ein irgendwie gearteter historischer Paulus gestanden, sondern niemand anderes als Simon der Magier. Ihm begegnen wir zum ersten Mal als Widersacher der Apostel in Samarien (Apostelgeschichte. 8,9-24). Die Kirchenväter hielten diesen Simon für den Urheber der gefährlichen Irrlehre der Gnosis. Die Gnostiker vertraten u.a. die Ansicht, daß der Gott des Alten Testamentes nicht der Vater Jesu Christi sei. Sie glaubten nicht an eine Offenbarung Gottes in der Geschichte, also den in die Welt gekommenen, leibhaftigen Menschen Jesus Christus, sondern nur an eine innere Erleuchtung.

Detering behauptet nun folgende abenteuerliche Geschichte: Im zweiten Jahrhundert versuchten andere Christen diesen scheinbaren gnostischen Ursprung ihrer Religion zu verschleiern. Deshalb hätten sie aus Simon den Paulus, aus dem Magier den recht-gläubigen Apostel gemacht. So sei die Pauluslegende entstanden. Etwas später hätte Marcion als Anhänger der Gnosis einen Weg gesucht, seine Überzeugungen zu verbreiten. Ihm sei dabei der „legendäre“ Apostel Paulus eingefallen, der in antignostischen Kreisen hohes Ansehen genossen habe. Ihm unterschob Marcion nun seine eigenen gnostischen Ansichten, indem er unter dem Deckmantel des Paulus Briefe schrieb. Diese Schriftstücke habe sich dann die frühe Kirche unter den Nagel gerissen und die gnostisehen Inhalte mit abmildernden Einschüben versehen. So seien die Briefe des Paulus entstanden. Wie denn nach Detering das Christentum überhaupt alles einigermaßen Wertvolle Ketzern verdanke.

So weit, so schlecht erfunden, möchte man sagen und das Buch möglichst schnell vergessen. Aber da sind wenigstens drei Tatsachen, die die Angelegenheit doch bemerkenswert machen. „Der gefälschte Paulus“ erschien nicht in einem der für derartige Literatur berüchtigten weltlichen Verlage Bertelsmann, Droemer Knaur oder Goldmann. Als verantwortlich zeichnet der Patmos Verlag in Düsseldorf, der bisher als katholisch galt. Daran sieht man, wie längst nicht bloß namhafte evangelische Verlage sich zunehmend auf theologischen Schund verlegen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre scheint es allerdings eher unwahrscheinlich, daß sie das auf Dauer aus den roten Zahlen halten wird.

Die Bultmann-Schule läßt grüßen

Eine weitere Pikanterie besteht darin, daß Detering sich mit dem Doktorhut einer evangelischen Fakultät schmücken kann. Er hat an der Kirchlichen Hochschule Berlin bei Walter Schmithals promoviert, der sich selbst als einen der wenigen echten Schüler Rudolf Bultmanns betrachtet. Nun sollte man Lehrer nicht für alle Torheiten ihrer Schüler verantwortlich machen. Professor Schmithals wird über das Buch Deterings gewiß nicht glücklich sein. Gleichwohl, einige der unhaltbaren Behauptungen von Detering finden sich schon bei seinem Lehrcr vorbereitet. Auch Schmithals sieht die Anfänge des Christentums tief von der synkretistischen (verschiedene Religionen vermischenden) Gnosis beeinflußt. Außerdem rechnet er damit, daß in die sieben von ihm für echt gehaltenen PaulusBriefe später andere Autoren Zusätze eingefügt hätten.

Wenn man Gott in sich selbst sucht

Noch wilder wird die ganze Sache dadurch, daß Hermann Detering Pfarrer der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ist. Am Schluß seines Buches erklärt der Verfasser, allen religiösen Autoritäten, das Neue Testament eingeschlossen, müsse der Abschied gegeben werden. Jeder könne und müsse Gott in sich selbst finden. Aufgabe der Kirche sei es, sich nach und nach überflüssig zu machen. Wer das als hoffnungsvollen Hinweis nimmt, daß Detering das Pfarramt verlassen möchte, sieht sich allerdings enttäuscht. Der Theologe weiß, daß Aufklärungsarbeit, wie er sie leisten will, noch sehr lange Zeit brauchen wird. Von daher kann der 4l jährige mit Ruhe seinem kirchlichen Pensionsdatum (um das Jahr 2018) entgegensehen.

Wird die berlin-brandenburgische Kirche gegen einen Pfarrer, der nicht bloß die historische Existenz des neutestamentlichen Paulus bezweifelt, sondern auch die reformatorische Rechtfertigungslehre in Mystik auflöst, ein Lehrzuchtverfahren eröffnen? Das ist wohl eine einfältige Hoffnung. Man wird statt dessen vermutlich darauf hinweisen, daß Detering nicht für die ganze Kirche spricht und daß man der Gesellschaft ein Beispiel für Toleranz gibt, wenn man auch solche Positionen duldet. Es könnte allerdings sein, daß noch mehr Zeitgenossen eine Kirche, in der immer auch das Gegenteil von allem gilt, für lächerlich und überflüssig halten werden. Jüngst wurde bekannt, daß Berlin-Brandenburg von allen Landeskirchen in Deutschland die höchste Zahl an Mitarbeitern und die geringste an Gottesdienstbesuchern hat. In der Person von Pastor Detering haben wir wenigstens in einem Fall eine Erklärung für diesen doch recht erstaunlichen Tatbestand.

Historiker halten an der Existenz von Paulus fest

Monopole sind immer gefährlich für Freiheit und Demokratie. Insofern war es gut, daß das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ durch „Focus“ Konkurrenz bekam. Was theologische Beiträge anbetrifft, ist „Focus“ allerdings bisher noch nicht über das schwer zu unterbietcnde Niveau des „Spiegel“ hinausgekommen. Das zeigt nicht erst der Beitrag über Paulus. Um nun nicht hei bloßer Kritik stehenzubleiben, sei eine positiveAnregung gegeben. Wie wäre es, wenn „Focus“ einmal das Buch „Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulus-Reisen“ (Verlag Mohr-Siebeck) bespricht? Der Verfasser Claus-Jürgen Thornton schreibt nicht als Theologe, sondern als Historiker. In der Literaturliste von Detering fehlt dieses Buch. Detering muß es auch ignorieren, denn nach genauerer Lektüre hätte er vermutlich selbst nicht mehr an seine eigenen Paulus-Phantasien geglaubt. Mit seinem Buch muß er sich nicht nur mit Theologen anlegen, sondern auch mit Althistorikern, von denen kein ernstzunehmender die geschichtliche Existenz des Paulus bezweifelt.

Der Autor, Dr. theol. habil. Rainer Riesner, ist Dozent für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät Tübingen.

Leserbrief von Ludwig David Eisenlöffel, Seminardirektor i.R., 24357 Fleckeby

IDEA 13/95

Zum Kommentar „Paulus ist keine Erfindung“ (Nr. 7, S. 24) von Rainer Riesner (Tübingen) über das Buch „Der gefälschte Paulus“ des Berliner Theologen Hermann Detering.

Zu bewundern ist die Fairneß und der Abstand, mit denen Rainer Riesner die seltsamen Spinnereien des Herrn Detering kommentiert. Auch die „Pikanterie“, daß der Märchenerzähler Detering den Doktorhut einer evangelischen Fakultät tragen darf und daß er so gut wie sicher mit keinem Lehrzuchtverfahren seitens der berlin-branden-burgischen Kirche zu rechnen hat, kann nur ein sehr abgeklärter Kritiker so gelassen beschreiben, wie Riesner das tut. „Der gefälschte Paulus“ dürfte indessen — dem beschriebenen Inhalt nach zu urteilen — lediglich ein weiteres abenteuerliches Pamphlet eines „Theologen“ sein, der sich mit der Herstellung gefälschter Texte auszukennen scheint. Denn wer es einem (Marcion) oder mehreren anderen Christen (des zweiten Jahrhunderts) auch nur zutraut, daß sie Fälscher von Texten gewesen seien, der muß selbst mit Fälschungen beschäftigt sein und seine eigenen Tricks für leicht „umsetzbar“ halten. Welcher „Fälscher“ hätte aber jemals die Persönlichkeit des Apostels Paulus so „erfinden“ können, wie ihn der sehr gewissenhaft recherchierende und nur Paulus und seinem Dienst persönlich vertraut gewesene Arzt Lukas in der „Apostelgeschichte“ beschreibt? Da ist keine Spur von einem raffinierten „Drehbuch“ zu entdecken; keine nachträgliche „Gemeindetheologie“ zu orten, keine Harmonisierung von ambivalenten Aussagen zu beobachten. Lukas will nichts anderes als dokumentieren, in welcher souveränen und oft überraschenden Weise der auferstandene Jesus Christus nach seiner Himmelfahrt auf Erden weitergewirkt hat auch und gerade durch Paulus. Gott hat durch Paulus das Fundament legen lassen, auf dem sich das Christentum später weltweit entfaltet hat. Gerade darum wird er von Seiten der ungläubigen Theologen (von denen viele eigentlich nur kümmerliche Philosophen sind) immer wieder als der eigentlich „Schuldige“ an einem verbindlichen Christentum diffamiert, als der „Verderber der ursprünglichen Lehre“ oder gar als der „visionäre  Epileptiker“ hingestellt, dem nicht geglaubt werden solle. Der wirkliche Paulus hat — im Unterschied zu jedem „erfundenen“ — seine Berufung aber damit glaubwürdig gemacht, daß er sich von seinem Herrn in die schwersten Anfechtungen hineinnehmen und als Mensch total aufreiben ließ — im Unterschied zu allen seinen Kritikern, die sich nie schämten, sich von einer Kirche bezahlen zu lassen, deren Existenz gerade dem Zeugnis dieses Paulus (das für Luther so wichtig war!) zu verdanken ist. Es ist nicht verwunderlich, daß sich nach und nach eine Zunft von angeblich theologischen „Wissenschaftlern“ gebildet hat, die vor ihren Bücherregalen und an ihren Schreibtischen so weltfremd geworden sind, daß sie ihre eigenen Spitzfindigkeiten und Spitzbübereien anderen, die lange vor ihnen gelebt haben, ganz selbstverständlich zutrauen und zuschreiben. Weil Herr Detering aber den historischen Paulus für einen „gefälschten“, und seinen gefälschten für den „echten“ (lediglich erfundenen) Paulus hält, wiird er vermutlich lieber an seinem Schreibtisch bleiben. Als gut bezahlter evangelischer Pfarrer versteht sich. Was muß in Deutschland eigentlich noch geschehen, bis sich die evangelischen Bischöfe auf ihre Verantwortung für die Gemeinde Jesu besinnen und solche Pfarrer in die Wüste schicken?

SELK-INFO:Der Briefe schreibende Paulus – eine literarische Fiktion? (Volker Stolle)

Nr. 187 März 1995

Auf dem Büchermarkt erregt erneut ein Buch Aufmerksamkeit, das ein biblisches Thema behandelt  (FOCUS 5/1995 widmete ihm 3 Seiten): Hermann Detering: Der gefälschte Paulus, Patmos Verlag  Düsseldorf 1995, 245 Seiten. Durch die Tatsache, daß die späteren Paulusbriefe, die voraussetzen,  daß Paulus nach seiner römischen Gefangenschaft (Ende der Apostelgeschichte) noch einmal  freikommen und eine weitere Schaffensphase entfalten konnte, von der Mehrzahl der Forscher nicht  mehr der Verfasserschaft des Apostels zugerechnet werden, laßt sich Detering nun dazu verleiten, alle  Paulusbriefe als unecht zu erklären und sie damit als Quelle für das frühe Christentum um die Mitte  des ersten Jahrhunderts zu streichen. Damit fällt auch die Gestalt des Apostels, wie er uns in diesen  Briefen entgegentritt, für die frühe christliche Geschichte aus, zumal auch dem Paulusbild der  Apostelgeschichte jeder geschichtliche Bezug zur Anfangszeit bestritten wird.

Die Paulusbriefe, – an welche im einzelnen zu denken wäre, bleibt offen – habe mit großer  Wahrscheinlichkeit der Häretiker Marcion, der 144 aus der Gemeinde in Rom ausgeschlossen wurde,  unter dem Namen eines legendären Paulus verfaßt, freilich nicht in der uns vorliegenden Form; dies sei  vielmehr eine Überarbeitung, die katholische Redaktoren vorgenommen hätten, um den  marcionitischen „Paulus“ mit dem kirchlichen Glauben in Einklang zu bringen. Demzufolge wären die  fiktiven Paulusbriefe Kampfschriften aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts, als sich in einer  Auseinandersetzung zwischen einer juden-christlich-katholischen und einer gnostisch­heidenchristlichen Richtung das Christentum herausbildete.

Statt der gängig angenommenen historischen Abfolge: historischer Paulus mit seinen Briefen,  Deuteropaulinen, Apostelgeschichte, apokryphe Apostelakten und Marcions manipulierende Aufnahme  der Paulusbriefe, ergäbe sich nun die Abfolge: historischer „Erzketzer“ Simon/Paulus, Paulusakten,  Apostelgeschichte, marcionitische Paulusbriefe und schließlich die heutigen, überarbeiteten  Paulusbriefe. Dies bedeutet: Das eigentliche Christentum wäre erst Mitte des zweiten Jahrhunderts als  „eine Art gnostischer Häresie“ durch Vereinnahmung eines marcionitischen „Paulus“ entstanden.

Indem Detering die geschichtlichen Ursprünge des Christentums einer radikalen Kritik unterzieht,  meint er der Freiheit des Geistes Raum zu schaffen, aus der heraus Menschen sich in völliger Freiheit  und Unabhängigkeit auf ihren eigenen Weg machen könnten, mit der bisherigen Geschichte des  Christentums nur mehr aus „einer interessierten, kritischen Zugewandtheit und -geneigtheit“  verbunden. „Religion hat als solche Kirche nicht nötig“, – der Verfasser allerdings als Pfarrer die  Institution Kirche als Gehaltszahlerin.

Detering will von seinen Lesern jedoch zunächst gar nicht als Theologe, sondern als kritischer  Historiker verstanden sein. Will er an diesem Anspruch gemessen werden, so müßte man eine  durchgehend methodisch abgesicherte Argumentation erwarten. Darin aber wird der Leser je länger je  mehr enttäuscht. Zwischendurch wird er auch einmal durch kurzweilige Studien- und  Reiseerinnerungen unterhalten. Die Quellentexte kommen dagegen nicht angemessen zur Geltung.  Wenn sie herangezogen werden, dann bereits durch die Brille einer sehr einseitigen Interpretation  betrachtet. Vor allem aber werden die Kriterien der Argumentation nicht durchgehalten.

Die Echtheit der allgemein für authentisch gehaltenen Paulusbriefe (Römer, 1./2. Korinther, Galater,  Philipper, 1. Thessalonicher, Philemon) wird neben dem Vorwurf angeblicher Ungereimtheiten  (bekannte Probleme werden angeführt, die zum großen Teil einfach in der Briefform als halbiertem  Gespräch liegen) mit dem Hinweis auf manche wunderhaften und legendarischen Züge, die sie mit der  Apostelgeschichte teilten und sie als historische Quelle unbrauchbar machten, und vor allem mit dem  Fehlen zeitgenössischer außerchristlicher Zeugnisse für ihre Existenz bestritten. Bei der eigenen  Geschichtskonstruktion dominiert dann aber blühende Fantasie, die freilich als kritische  Auseinandersetzung bezeichnet wird. Das Fehlen außerchristlicher Zeugnisse stört hier nicht, nicht  einmal, daß es über Marcion nur indirekte Nachrichten bei den Kirchenvätern gibt. Der angenommene  Urtext der Paulusbriefe wird nur in kleinsten Kostproben vorgeführt; diese bleiben reine Vermutung,  und jeder überlieferungsgeschichtliche Anhaltspunkt fehlt für sie. Die These der Gleichsetzung des  legendarischen Paulus mit dem historischen Magier Simon hat mit den Texten der Paulusbriefe  ernsthaft überhaupt nichts mehr zu tun. Zur Stützung dieser These werden jetzt vielmehr andere  legendarische und tendenziöse Texte zur Grundlage einer „historischen Spurensuche“ gemacht. Mit  solcher Willkür laßt sich alles „beweisen“ . Dem Leser wird schließlich zugemutet, Simon Magus als die  zentrale Gestalt, „dessen Person allgewaltig und beherrschend ganz am Anfang der christlichen  Geschichte steht“ und sogar das Jesusbild mitgefärbt habe, zu begreifen, obwohl es an zeitgenössischen  Zeugnissen aus dem ersten Jahrhundert, die dies nur im entferntesten nahelegten, völlig fehlt.

Historische Entdeckerfreude kann einfach nicht die eigentliche Triebkraft hinter solchem  Verwirrspiel sein. Es fällt mir sogar schwer, zu glauben, Detering selbst habe seine Ausführungen nicht  als skurrile Ironie, sondern ernst gemeint. Es geht vielmehr darum, sich aus jeglichem  Eingebundensein in „Rechtgläubigkeit“, deren Begründbarkeit ohnehin nur noch in ihrer  geschichtlichen Absicherung gesehen werden könnte, zu befreien und sich das „Erlebnis einer bisher  unbekannten Freiheit im Umgang mit den Grundlagen unseres christlichen Glaubens“ zu verschaffen.  Dieses Anliegen mag dann auch die Plausibilität und Überzeugungskraft dieses abenteuerlichen  Denk- und Argumentationsweges für breitere Leserkreise begründen und das Geheimnis der Wirkung  dieser seltsamen Blüte angeblich radikal historisch-kritischer Nachfrage sein.

Detering tritt für eine „Religion des Geistes“ ein, die von Bindungen an geschichtliche Tatbestände  grundsätzlich freibleiben soll. Insofern werden die Paulusbrtefe letztlich völlig unwichtig. Es kommt nicht darauf an, wer sie geschrieben hat und wie sie ursprünglich lauteten. Denn Gott redet uns im  Sinne Deterings sowieso nicht durch das Wort der Apostel an; sondern „als Geist in uns“. Die  historische Destruktion dient einer Loslösung von der Geschichte und ist schon deshalb gegen ihren  eigenen Gegenstand gerichtet, will die Briefe des Paulus gar nicht verstehen, sondern neuen, eigenen  Worten „geistlicher Vollmacht“ von kraftvoller, bisher eingeschnürter Energie Hörraum verschaffen.  Dann aber ist nicht allein nach der historischen Verfizierbarkeit der vorgetragenen Sicht von den  Ursprüngen des Christentums  zu fragen, sondern im Sinne des Paulus auch nach „der Wahrheit des  Evangeliums“.

Reformiertes Forum: Echte Auseinandersetzung gefordert (Fritz Gloor)

15/16, 13. April 1995

Nach der angeblichen Aufdeckung der „Verschlusssache Jesus“ war die Enttabuisierung des herkömmlichen Paulusbildes nur noch eine Frage der Zeit. Schliesslich hatte es schon vor mehr als hundert Jahren – vor allem in Holland – sogenannte Radikalkritiker gegeben, die dem Apostel sämtliche unter seinem Namen überlieferten Briefe absprachen und als pseudonyme Schriften ins zweite Jahrhundert datierten. In heutigen Einleitungen und Kommentaren werden diese Versuche bestenfalls in Fussnoten gewürdigt.

Zu Unrecht, meint Hermann Detering in seinem Buch „Der gefälschte Paulus“. Es gibt gute Argumente, nicht nur die Authentizität der Pastoralbriefe und der Deuteropaulinen in Zweifel zu ziehen. Auch die sieben unbestritten echten Briefe sind nach seinem Urteil geschickte Fälschungen aus dem zweiten Jahrhundert.

Wer aber konnte ein Interesse daran haben, diese Briefe unter dem Namen des Paulus herauszugeben? Nur einer, der seine Lehre unter Berufung auf die Autorität des Apostels zu legitimieren suchte: Marcion. Der gnostische Erzketzer hat nicht die Paulusbriefe von Passagen gereinigt, die seinem theologischen Konzept widersprachen. Er hat sie selber verfasst, und ein späterer katholischer Redaktor hat die dem Paulus untergeschobenen Briefe erweitert und für die Grosskirche kanonfähig gemacht!

Wenn diese These stimmt, lässt sich die Frage nach dem „historischen Paulus“ folgerichtig nicht mehr aufgrund von Selbstzeugnissen beantworten. Detering hat auch hier eine Antwort parat: In der pseudoklementinischen Literatur wird Paulus mit Simon Magus identifiziert. Das geschah nicht einfach in polemischer Absicht, sondern weil es sich bei Simon und Paulus historisch um ein und dieselbe Person handelte.

Detering ist kein Sensationsjournalist vom Kaliber des unseligen Tandems Baigent/Leigh. Seine Thesen verdienen eine ernsthafte Auseinandersetzung, die hier nicht geleistet werden kann. Zum Widerspruch reizt aber in jedem Fall das theologische Fazit des Verfassers, dass die Kirche besser daran täte, ihre Autorität auf geistliche Vollmacht, statt auf Geschichte zu gründen. Mit dieser simplen Alternative wird man dem Verhältnis von Glauben und Geschichte, wie es in den paulinischen Briefen (seien sie nun echt oder gefälscht) wegweisend erörtert wird, sicher nicht gerecht!

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Hat Paulus seine Briefe nicht selber geschrieben ? (Ekkehard Böhm)

Suche nach dem Ghostwriter

25. April 1995

Der Verfasser des Markus-Evangeliums war nicht der gleichnamige Jünger Jesu, und auch die Offenbarung des Johannes läuft unter falschem Namen. Darüber sind sich die Neutestamentler inzwischen einig. Aber von den dreizehn Paulus-Briefen, so heißt es heute weitgehend übereinstimmend, sind wenigstens sieben echt, geschrieben in der Zeit zwi­schen 50 und 60, die ältesten originalen Zeugnisse des Christentums. Doch einer meldet auch hier jetzt Zweifel an: der Berliner Pfarrer Hermann Detering. Für ihn handelt es sich bei den paulinischen Briefen allesamt um geschickte Fälschungen aus dem 2. Jahrhundert.

Die Fragen, die Detering stellt, sind berechtigt — freilich nicht neu, denn Zweifel an der Echtheit der Briefe sind schon im 18. Jahrhundert aufgetaucht Warum etwa schreibt Paulus an die römische Gemeinde einen langen Brief, wenn er anschließend gleich selbst nach Röm reist? Warum wendet er sich an das Bergvolk der Galater in so komplizierten Worten, daß ihn dort bestimmt keiner verstanden hat? Warum tut der Jude Paulus so, als sei er keiner? Warum spielt er zwischen 50 und 60 schon auf die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 an? Und warum tauchen die Briefe erst im 2. Jahrhundert auf? Weshalb erwähnt ihn sonst nur die Apostelgeschichte und kein anderer Autor, wenn er angeblich doch so eine überragende Persönlichkeit war?

Beim Vergleich von Apostelgeschichte und Briefen habe man, meint Detering, den Eindruck, als sei hier von zwei verschiedenen Menschen die Rede. In ersterer erscheint er als Jude, in letzteren lehnt er das jüdische Gesetz ausdrücklich ab. In der Apostelgeschichte ordnet er sich der Jerusalemer Gemeinde unter, da er mit den Jüngern nicht gleichwertig sei, in den Briefen betont er seine Gleichrangigkeit. Die Differenzen hält Detering für unüberbrückbar — und die Apostelgeschichte für eine Sammlung unhistorischer Legenden. Auch das Damaskus-Erlebnis, für das schon verschiedene medizinische Erklärungen herangezogen worden sind, ist für ihn pure Literatur. Aus den Paulus-Briefen spricht ein ungeheures Selbstbewußtsein, das sich vom sonst eher schlichten Briefstil der hellenistischen Welt sehr abhebt. Auch deshalb meint Detering, seien sie nicht Zeugnisse des Apostels selbst, sondern Äußerungen späterer Bewunderer. Ursprünglich dürfte es sich bei ihnen um theologische Traktate gehandelt haben, die dann in Briefform umgegossen wurden, um ihnen eine höhere Autorität zu verleihen. In vielem habe man den Eindruck, der Briefschreiber blicke auf eine längst vergangene Zeit zurück.

Nun beschränkt sich der Autor allerdings nicht darauf, Fragen zu stellen. Er will auch Antworten geben und droht sich damit ins Reich der uferlosen Spekulation zu verirren, selbst wenn er nicht den Anspruch erhebt,  „die Wahrheit“ gefunden zu haben, sondern seine These nur als Diskussionsbeitrag bezeichnet. Der mutmaßliche Verfasser der Briefe ist für ihn der 144 exkommunizierte Marcion, ein Vertreter der christlichen Gnosis. Diese griff den Monotheismus an und postulierte die Existenz eines (jüdischen) Schöpfergottes und eines (christlichen) Liebesgottes. Dem einen sei die Schöpfung mißlungen, der andere habe die Menschheit durch das Opfer Jesu vom „Demiurgen“ befreit. Deshalb gelte der Glaube vor dem Gesetz, die Liebe vor der Gerechtigkeit.

Paulus genoß nun bei Marcion hohes Ansehen, in den Briefen macht Detering gnostische Anklänge ausfindig, und Marcion habe sich legitimieren wollen, indem er Paulus für sich in Anspruch nahm. In ihrer heutigen Gestalt lägen die Briefe aber nur in katholischer Uberarbeitung vor. (Allerdings stellt sich die Frage, warum die Kirche sie übernommen hat, wenn sie doch von einem Ketzer stammen.) Und die Apostelgeschichte sei die katholische Antwort auf die bei den Gnostikern beheimatete Paulus-Legende, die gleichwohl auf eine historische Gestalt zurückgehe.
Und wer war dann Paulus wirklich? Detering meint ihn ausfindig gemacht zu haben, wobei er immer wieder dazu neigt, die von ihm kritisierte Methode der Vertreter der Echtheit der Paulus-Briefe zu übernehmen: Aus der Vermutung wird schnell eine Behauptung. Danach ist der historische Paulus identisch mit dem in der Bibel erwähnten Simon Magus, dem geistigen Vater der gnostisch­marcioninschen Gemeinde. „Paulus“ muß danach nicht als Eigen-, sondern als Beiname verstanden werden. Der fiktive Paulus wurde dann katholisiert, der wirkliche Simon von der Kirche zum Ketzer und Antichrist erklärt.

Über diesen konkreten Fall hinaus wirft Deterings Buch aber eine Reihe weiterer Fragen auf. Nach gängiger Meinung hat erst Paulus Jesu Lehre zu einer Theologie geformt. Wenn er es aber nicht getan hat, wer war es dann? Was ist zwischen den Jahren 50 bis 150 geschehen? Wer hat das Christentum vom Judentum getrennt? Und was bedeutet das für den Glauben? Für Detering gerät er durch die radikale Frage nach seinen historischen Grundlagen nicht in Gefahr. Eher sieht der Autor eine Chance darin, wenn dieser sich nicht auf Geschichte, sondern auf geistige Autorität gründe.

Aber wenn Detering für die Möglichkeit eines dogmen- und schließlich auch kirchenfreien Glaubens eintritt, dann muß man hier doch Zweifel anmelden. Dann bleibt im Grunde nur eine Sittenlehre, und bei der Frage, was dann Christentum noch ist, äußert Detering sich so dunkel, wie sich manche Stelle in den Paulus-Briefen liest.

Bremer Kirchenzeitung: Der gefälschte Paulus (Wilhelm Fuhrmann)

Ein Buch zu der Frage, was wir glauben können

13/95

Wer wissen möchten, wer wen gefälscht hat, lese das Buch mit dem in der Überschrift zitierten Titel „Der gefälschte Paulus“ von Hermann Detering. Dann weiß er oder sie zwar auch nicht, was „wirklich“ war und ist, ist aber auf einige Fragen und Probleme gestoßen, die möglicherweise etwas mit dem Glauben zu tun haben. Das Problem ist hier, ob das, was wir von Paulus zu wissen glauben, den historischen Tatsachen entspricht. Da haben wir einerseits einige Briefe, aus deren Absender und Adresse zu entnehmen ist, daß Paulus sie an unterschiedliche, vor allem an von ihm selbst gegründete Gemeinden geschrieben hat. Einige dieser Briefe werden aber von der Mehrzahl der christlichen Schriftgelehrten für „unecht“ gehalten: Entweder widersprächen sie dem, was in den „echten“ Pauluschriften zu lesen ist, oder sie spiegeln offensichtlich Zeitumstände, die erst etliche Jahre nach dem Tod des „historischen Paulus“ eingetreten sind. Oder man hat zum Beispiel beim 2. Thessalonikerbrief den Eindruck, daß „Paulus“ geradezu wörtlich Sätze aus dem 1. Thessalonikerbrief abgeschrieben hat, um nun das Gegenteil zu behaupten – was wiederum als Auffassung einer späteren Zeit zu erklären ist.

Andererseits haben wir recht ausführliche Informationen über Leben und Tätigkeit des Menschen Paulus in der Apostelgeschichte des Lukas. Aber diese Berichte lassen sich mit dem, was den autobiographischen Notizen in den „echten“ Paulusbriefen zu entnehmen ist, nicht unter einen Hut bringen. Vor allem hatte der Paulus der Apostelgeschichte eine andere „Theologie“, als der Briefschreiber Paulus sie in seinen Texten entwickelt. Sollte Lukas, der einer seiner Reisebegleiter war, seinen Chef derart mißverstanden haben? War „Lukas“ überhaupt der, als den ihn spätere kirchliche Tradition beschreibt und behauptet?

Die Fragen, auf die sich das Problem angesichts der „unechten“ Briefe und der Apostelgeschichte zuspitzt, lauten: „Kann Paulus das so gesagt haben? Und ist es wirklich so gewesen?“ Da gibt es dann einerseits gewundene Erklärungen. daß Paulus zwar die Themen einiger Briefe genannt, die selbständige Ausarbeitung aber einem Sekretär (“Lukas“?) überlassen habe. Oder: Paulus habe eben eine innere Entwicklung durchgemacht und in reiferem Alter dieses und jenes anders gesehen. Und die sogenannten Widersprüche zwischen den Notizen der Briefe und dem Bericht der Apostelgeschichte seien keine, da es sich jeweils um ganz verschiedene Begebenheiten handle, die irrtümlich in einen Topf geworfen würden.

Und da sitzt das Problem: Die Kirche hat sich bei uns seit der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert unserer christlichen Zeitrechnung auf die Historizität ihres Glaubens festgelegt: Wir glauben, was und wie es wirklich gewesen ist. Das klingt fast „modern“: Wir glauben nur, was wir anfassen können. So steht es wörtlich im 1. Johannesbrief, 1. Kapitel, Verse 1—3. Beweis für die historische Richtigkeit sind die Zeugenaussagen der zwölf Apostel. die von der Taufe Jesu bis zu seiner Himmel­fahrt dabei waren. Dieses „Dogma“ stellt die Apostelgeschichte auf, und deshalb „müssen“ Matthäus und Johannes „Apostel“ sein—und Lukas und Markus wenigstens Apostelschüler. Und deshalb ist Paulus k e i n Apostel, weil er eben nicht „dabei war“. Damit stellt sich die Frage: „Was bleibt“ angesichts so vieler historischer Unsicherheiten? Anders gefragt: Was können wir glauben? Sollen wir „für wahr halten, was die Kirche lehrt“? Sollen wir„glauben“, daß die (ganze!) Bibel „Gottes Wort ist“? Oder sind wir nicht vielmehr darauf angewiesen daß das, was hier oder da aus de Worten der biblischen Schreiben zu uns herübertönt, für uns ein Wort Gottes wird? Mögen diese Schreiber, die uns da ihre Erfahrrungen mit Gott bezeugen, nun Jesaja oder Paulus „sein“ — oder auch nicht. Unser Glaube hängt nicht an Paulus (oder Luther oder Kardinal Ratzinger), sondern an dem, was wir „von der anderer Seite her“, die wir ..Gott“ nennen, als uns betreffend und betroffen machend hören.

Der Verfasser sagt das mit etwas was anderen Worten: Es muß jeder selbst für seinen Glauben einstehen. Da gibt es kein Nachplappern und kein Katechismus-Aufsagen. Und wer ist der Verfasser? Doktor der Theologie Hermann Detering, evangelischer Gemeindepfarrer in Berlin.

Interpretatie: Geen brief van Paulus? (Eduard Verhoef)

Juni 1995

In 1991 verscheen bij Peter Lang de dissertatie van Schmithals’ leerling Hermann Detering, Paulusbriefe ohne Paulus? Die Paulusbriefe in der holländischen Radikalkritik. Hermann Detering, predikant in Berlijn haalde in dit proefschrift de ‘Hollandse Radicalen’ weer voor het voetlicht. Dit proefschrift trok vooral de aandacht omdat Detering de standpunten van die kleine groep geleerden voor een belangrijk deel overnam. In hun spoor verdedigde Detenng de these dat we geen authentieke brieven van Paulus hebben en dat alle zogenaamde brieven van Paulus in de tweede eeuw gesitueerd moeten worden.

Begin dit jaar heeft Detering in een vlot geschreven boek zijn visie voor een breder publiek toegankelijk gemaakt. De titel van dit boek: „Der gefälschte Paulus, Das Urchristentum im Zwielicht“1  trekt zozeer de aandacht, dat het populaire Duitse weekblad Focus in het nummer van 30 januari jongstleden er drie bladzijden aan besteedde. Met de kop ‘Der falsche Paulus, Ein Berliner Theologe behauptet, die Gestalt des Heidenapostels Paulus sei eine literarische Er­findung aus dem zweiten Jahrhundert’2 wordt de aandacht getrokken. Het meest suggestief is de volgende passage uit dat artikel: ‘Detering beweert met zoveel woorden dat de grote wereldgodsdiensten benisten op literair bedrog. Daarbij komt nog het pikante feit dat de auteur predikant van beroep is. Dan vragen mensen al gauw: “Mag hij dat?” Ja, dat mag hij kennelijk.’3

Het boek zelf biedt niet veel nieuws vergeleken bij de eerder verschenen dissertatie. In het spoor van W.C. van Manen4 wil Detering de geschiedenis van het oudste christendom herschrijven. En ook de (zeven) brieven die vrijwel algemeen wel als authentieke brieven van Paulus worden gezien, kunnen naar zijn mening alleen verklaard worden als zij in de tweede eeuw geschreven zijn in gnostische kringen.

Een belangrijk punt van verschil tussen Detering en mij is het uitgangspunt. Hoe wordt zuiver geredeneerd? Detering heeft een bepaalde visie op de geschiedenis van het oudste christendom. De gnostiek en Marcion spelen daarin een zeer grote rol. En hij meent dat de brieven van Paulus thuishoren in de door hem gereconstrueerde geschiedenis van de eerste helft van de tweede eeuw.

Naar mijn mening zou een zuivere redenering zijn: we hebben een aantal brieven die zich aandienen als brieven van Paulus. Deze Paulus is met behulp van de brieven te traceren als iemand die In het midden van de eerste eeuw het evangelie van Jezus Christus, zoals hij dat interpre­teerde, in verschillende steden van Klein-Azië en van Griekenland heeft verkondigd. Zo kunnen deze brieven ertoe bijdragen dat wij meer inzicht krijgen in een deel van de geschiedenis van het oudste christendom. De brieven van Paulus zijn even zo vele bronnen van informatie voor de reconstructie van die geschiedenis. Het is onjuist om eerst die geschiedenis te schrijven en vervolgens die brieven daarin in te passen.

In zeker opzicht wordt de discussie van de vorige eeuw herhaald. De reeds genoemde Van Manen promoveerde in 1865 op een dissertatie over de authenticiteit van 1 Thessalonicensen.5 Op dat moment verdedigde Van Manen dle authenticiteit van die brief nog. Later zou hij als één van de ‘Hollandse Radicalen’ de authenticiteit van alle brieven van Paulus verwerpen. Eveneens in 1865 promoveerde A.B. van der Vies op een proefschrift over de beide brieven aan de Tessalonicenzen.6 Van der Vies verwierp de authenticiteit van de beide brieven. Hij redeneerde aldus: de prescripten van de brieven zeggen of alles of niets.7   In het eerste geval is verder onderzoek niet nodig. Dan weten we immers aan de hand van het opschrift wie de auteur van een bepaald geschrift is. In het tweede geval is de weg vrij om, niet gehinderd door de aanhef van de brief, te onderzoeken welke situatie het best het ontstaan van een dergelijk geschrift verklaart. Van Manen verzet zich fel tegen de redenering van Van der Vies. Van Manen meent mijns inziens terecht dat die methode niet deugt. Ook in het gesprek met Detering moet de methode aan de orde komen. Welke waarde hebbende prescripten van de onderhavige brieven. Mogen we de brieven van Paulus, zolang het tegendeel niet blijkt, beschouwen als authentieke brieven? En mogen we dan mede met behulp van deze brieven pogen de geschiedenis van het oudste christendom te beschrijven of schrijven we eerst die geschiedenis en moeten die brieven daar dan ingepast worden?

Het is duidelijk dat ik de standpunten van Datering niet deel. Een andere vraag is of zulke standpunten binnen de kerk getolereerd kunnen worden. In Focus werd al op suggestieve wijze gevraagd of een dergelijke mening zo maar geventileerd mocht worden door een ambtsdrager van de kerk. Detering zelf schrijft dat hij hoopt dat zijn boek ook een ‘Beitrag zu einer größeren Freiheit in der theologischen Diskussion’ is. Dat wil ik graag ondersteunen. Ook voor Van Manen, één van de grote voorbeelden voor Detering, was die vrijheid en ruimte binnen de kerk een groot goed.9 De standpunten van Detering en ook die van Van Manen, zijn mijns inziens onhoudbaar. Maar ik hoop wel dat er binnen de kerk altijd voldoende ruimte zal zijn om met elkaar in gesprek te blijven, ook over ‘Radicale’ standpunten als die van Detering.
1 Düsseldorf  1995.

2 Focus nr. 5, p. 144.

3 Op. dt., p. 146.

4 Zie Eduard Verhoef, W.C. van Manen. Een Hollandse Radicale theoloog, Kampen 1994.

5 Onderzoek naar de echtheid van Paulus’ eersten brief aan de Thessalonicensen. Weesp 1865.

6 De beide brieven aan de Thessalonicensen, Historisch-kritisch onderzoek naar hunnen oorsprong, Leiden 1865.

7 Van der Vies, p.2.

8 Detering.p. 11.

9 Zie Verhoef p. 68.

Wer ist der heilige Paulus? (Wolfgang Beilner)

Hat der Ketzer Marcion die Paulusbriefe verfaßt? Ein eben erschienenes Buch von Hermann Detering bringt überraschende Ergebnisse. Eine Rezension des Salzburger Neutestamentlers

In der gegenwärtig üblichen Aufdeckungsmanier hat der Berliner Pfarrer Hermann Detering kürzlich ein Buch über Paulus und über den „tatsächlichen“ Verfasser der Paulusbriefe veröffentlicht. Der Kern seiner Untersuchung: der historische Paulus sei mit dem in der Apostelgeschichte (Kapitel 8) erwähnten Simon Magus (nach den einschlägigen Kirchenväter-Angaben der Urheber der christlichen Gnosis) identisch. Die zehn Paulusbriefe (mit Ausnahme der „Pastoralbriefe“) stammten in Wirklichkeit von Marcion oder vielleicht von dessen Schüler Apelles (Marcion lege sich nahe wegen der 144 n. Chr. erfolgten Exkommunikation aus der römischen Gemeinde; darauf solle Gal 4,17 Bezug nehmen). Soweit es um die „Unechtheit“ aller Paulusbriefe geht, referiert der Autor über die „radikalen Holländer“ des 19. Jahrhunderts, deren Meinung längst in der Wissenschaft nur noch historischen Erwähnungswert hat. Detering räumt seinem Buch „skizzenhaften Charakter“ ein, hält seine Argumentation für „etwas verkürzt“ und spricht von einer Arbeitshypothese. „Allerdings bin ich mir im klaren darüber, daß der zwingende Beweis, der absolut jeden Zweifel zu zerstreuen vermag, noch nicht erbracht ist. Aber wo gibt es denn überhaupt auf dem Felde der Erforschung der christlichen Frühgeschichte solche zwingenden Beweise?“ Die buntgemischten Argumente sind etwa die fehlenden außerchristlichen Pauluszeugnisse, die fehlende Erwähnung von Paulusbriefen in der Apostelgeschichte und in der Johannesapokalypse, die Erwähnung (und die Art dieser Erwähnung) der Paulusbriefe erst bei Justin, die „Unverläßlichkeit“ der Apostelgeschichte, Elemente, die sich (analog zu den Paulusbriefen) als Hagiographie auch in den sieben in der Forschung unumstrittenen Paulusbriefe finden.

Das Buch ist sichtlich von der neueren Aufdeckungsliteratur bezüglich Jesus inspiriert. Darum kann es auch nicht Wunder nehmen, daß in ein paar Schlenkerern auch die Existenz Jesu in Frage gezogen wird, unsere Einsicht bezüglich Jesus als „fromme Phantasie“ bezeichnet wird, all das in den Spuren von Bruno Bauer. Tatsächlich sei das Christentum ein „Abfallprodukt der Gnosis“, aber eben mit der weitaus erfolgreichsten Wirkungsgeschichte. Detering will die Einschätzung, daß sowohl die jüdische als auch die christliche Religion typische Geschichtsreligionen sind, möglichst erschüttern. Die Unsicherheiten geschichtlicher Rückfrage könnten keine Glaubensgewißheiten herbeiführen. Es gehe um „Geist“ statt Geschichte, die Kirche müsse „ihre Autorität auf geistliche Vollmacht statt auf Geschichte … gründen“. Die These von der Unechtheit aller Paulusbriefe steht und fällt schon mit der Erwähnung dieser Briefe im ersten Clemensbrief (vermutlich um 96 n. Chr.) und den Briefen des Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien (Beginn des zweiten Jahrbunderts). Die von Detering erwähnte und mit mangelhaften Argumenten wiederaufgewärmte Behauptung, diese Schreiben seien erst spätere Fälschungen, können nach wie vor als längst widerlegte Vermutungen betrachtet werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit zu erwähnen, daß unter den von O‘Callaghan rekonstruierten Papyrusfetzen aus Qumran auch Texte der Pastoralbriefe sein können. Die vom Autor behaupteten Widersprüchlichkeiten in den Paulusbriefen lassen sich sehr wohl aus der jüdischen Denkstruktur des Paulus erklären. Gerade die Unterschiede zwischen den heute allgemein Paulus zugeschriebenen sieben Briefen und den anderen im Neuen Testament unter seinem Namen begegnenden Briefen werden von Detering in seinen Theorien keineswegs mehr beachtet. Manipulativ erscheinen die Auslassung von 1Kor 7,19 /9,14 bezüglich des Verhältnisses Paulus – Jesus) bzw. Apg 14,4.14 (bezüglich der Apostelbezeichnung des Paulus in der Apostelgeschichte). Von einer „Fülle“ von Formeln in den Paulusbriefen kann keine Rede sein. Groteske Fehlübersetzungen (ektroma etwa im Sinn von „Nest-Küchlein“, atomos als „Winzling“) erinnern an Faschingsscherze. Besänftigende Aussagen wie: Ziel seines Buches sei, dazu beizutragen, daß die Annahme von der Echtheit der sieben unumstrittenen paulinischen Briefe ein „durchreflektiertes Ergebnis“ darstellen möge oder das Lob der katholischen Marcion-Redaktion möge vielleicht auf das Konto des Verlages (von Patmos war man freilich bisher andere Veröffentlichungen gewohnt!) gehen. Eine besondere Köstlichkeit ist die Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der Thekla der Paulus- und Thekla-Akten sowie mit der Helena des Simon Magus. Der Rezensent hat dieses Buch (in Druckfahnen) als Parodie auf Auswüchse historisch-kritischer Arbeit (auch mit gelegentlichem Schmunzeln) gelesen. Seriöser Erkenntniszuwachs an wissenschaftlich Verantwortetem wird interessierten Lesern nicht geboten. Ginge es Detering tatsächlich um die Förderung der wissenschaftlichen Diskussion, so hätte er diese mit seriösen Mitteln suchen sollen. Die gewählte Form und die offengelegten Ziele sprechen für die wahren Absichten des Autors.

Kritische Anfragen zum „Gefälschten Paulus“  Briefwechsel Pfr. Carl Beleites, Nordhausen  – Dr. Hermann Detering, Berlin (Mai 03)

Pfr. Carl Beleites, Nordhausen , Mai 03

Sehr geehrter Herr Detering,

auf Empfehlung von Freunden, die von Ihrem Buch beeindruckt sind, habe ich mir dieses über Fernleihe zukommen lassen. Leider musste ich es wegen verkürzter Leihfrist recht schnell lesen. Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu dem Buch, das mich nicht überzeugen kann. Es ist immer die Frage, mit welcher Brille lese ich eine Schrift. Sie erwähnten das Problem Korpuskel oder Welle beim Licht. Die Fragestellung bestimmt das Ergebnis. Sie kommen offensichtlich von den niederländischen Radikaltheologen her, die Sie für unsere Zeit aufzuarbeiten versuchen. Dafür sei Ihnen gedankt. Aber die von Ihnen angeführten Argumente können mich nicht überzeugen. Dass das Korpus Paulinum überarbeitet und auch erweitert wurde, darüber besteht kein Zweifel. Doch Ihrer Argumentation für eine Verfasserschaft der Briefe durch Marcion oder  einige Marcioniten kann ich nicht folgen. Pseudepigrafien sind oft recht flach und voller Wundergeschichten. Man merkt die Absicht. Es musste von Ihnen aufgezeigt werden, welche Gedanken den späteren Verfasser bewegt haben könnten, Briefe mit solchem Tiefgang zu schreiben. Paulus muss damals schon eine bedeutende anerkannte Persönlichkeit gewesen sein. Wie hätte man sonst Briefe in seinem Namen schreiben können?

– Wer die Briefe geschrieben hat, ist letztlich belanglos. Es kommt auf den Inhalt und unser Verstehen an. Für die Auslegung, das Verstehen ist es jedoch nützlich zu wissen, aus welcher Situation schreibt der Verfasser der Briefe, und in welcher Situation lebten nach Vorstellung des Schreibers die Empfänger des Briefes. Zu welchen Problemen nimmt er Stellung. Vielleicht hat Marcion den Paulus wieder entdeckt und ihn in vielen Stücken sogar verstanden. Es wäre kein Wunder, denn im 16. Jahrhundert begann im Sinne der römisch-katholischen Kirche wieder eine Ketzerei, die von Paulus ausging

Nun zu einzelnen Ihrer Argumente:

Dass Paulus nur die LXX zitiert ist m.E. kein Beweis dafür, dass er nur geringe Hebräischkenntnisse hatte. Seine Briefe sind an Christen in der jüdischen (heidenchristlichen) Diaspora gerichtet. Dort wurde die LXX gelesen Er war auch kein Exeget des 20 Jahrhunderts, der den „Urtext“ ganz genau zitieren wollte. Auch heute zitieren Theologen, die gut Hebräisch und Griechisch können, meistens die Bibel nach der Übersetzung, die ihnen geläufig ist, obwohl bekannt ist, jede Übersetzung verändert das Original.

Seite 17: Jerusalem wird bei Paulus jedoch erwähnt: Rö 15,19. 25.26.31; 1. Kor. 16,3; Gal. 4,25. 26.

Seite 46: Das Argument, dass Paulus keine Briefe schreiben musste, wenn er sowieso bald in die Gemeinde käme, überzeugt nicht. Warum sollte Paulus nicht einem Boten schon mitgegeben haben, was seine Meinung war? Und dass er sich in Rom anmeldete, ist nur zu natürlich. Wer in eine fremde Gemeinde, von der er etwas will, reist, sollte sich doch schon anmelden und vorstellen. Rom sollte doch die Basis für künftige Missionsreisen in den Westen werden. Als ich bereit war, in Rumänien der Evangl. Kirche C.A. für einige Zeit auszuhelfen, habe ich vorher dem dortigen Bischof auch ein Referat geschickt, aus dem er ersehen konnte, wie ich theologisch denke. Er sollte doch wissen, mit wem sie sich da einließen.

Seite 47 schreiben Sie, dass Paulus sich an folgenden Stellen nicht gerade durch große Bescheidenheit auszeichnen würde: Gal. 1,16; IKor. 11,1; 3,10; 4, 11 -13 16; 9,19-27; Phil. 3,17; 1 Thess. 1,6. So könnten das nur Aussagen über ihn sein. Ich meine, auch einzurückhaltender und bescheidener Mensch muss manchmal für sich kämpfen, sich in das Licht stellen. Er lebte das, was er glaubte und predigte. Da konnte er schon mal auf sich hinweisen. Und Paulus, wie er uns überliefert ist, war sich wohl seiner Bedeutung bewusst Dieses gilt auch von den Stellen, die Sie auf Seite 159 nennen.

Seite 48: Phil 1,7 13 14 stelle sich Paulus als Gefangener dar und 2,25  4,10 als freier Mann, das sei ein innerer Widerspruch Phil 2,25 und 4,10 halte ich nicht für Belege, dass Paulus ein freier Mann war, denn Lukas berichtet, dass der gefangene Paulus m Rom Besucher empfangen konnte. Diesen konnte er doch auch Anweisungen geben Wenn Paulus aus einer Gefangenschaft berichtete, dann war das doch stets eine Untersuchungshaft, die wohl auch locker gehandhabt werden konnte .

Zum II Kor Warum sollte ein Redaktor sich zu erkennen geben? Die Widersprüche der einzelnen Teile des Briefes könnten ja gerade als Zeugnis der Echtheit der einzelnen Abschnitte bewertet werden, denn welcher Pseudepigraf sollte von vornherein ein Produkt aus Bruchstücken abliefern? Der Redaktor hat die wichtigsten Passagen kleinerer Briefe zu einem großen zusammenkomponiert, ohne bei den einzelnen Stucken viel zu verändern, weil er Hochachtung vor den Originalen hatte. Da es ein echter Paulusbrief sein sollte, konnte er sich nicht zu erkennen geben Damals dachte man anders als heute.

Der Christushymnus Phil 2 weise „starke Anklänge an die erst im 2 Jahrhundert nachzuweisende und erst beim Gnostiker Valentin voll ausgebildete Vorstellung von der Niederkunft der himmlischen Sophia“ auf.  Der Hymnus kann nach meiner Meinung auch ein späterer Einschub sein. Wenn man ihn auslässt, gibt es keinen Bruch. Diesen Hymnus halte ich auch nicht für echt paulinisch. Über die Herkunft dieses Liedes können die Exegeten nicht Genaues sagen. Auch die Verfluchung des irdischen Jesus 1  Kor 12,3 lasse sich erst im 2 Jahrhundert m der entwickelten Gnosis nachweisen. Diese Stelle ist textkritisch sehr schwierig Da kann eine Störung vorliegen. 1  Kor 12,3 könnte ein späterer Einschub sein .

In den Paulusbriefen finde ich keine Hinweise auf die Zweigötterlehre eines Marcion Sein Christus war wirklicher Mensch und hat wirklich gelitten. Das Gegensatzpaar Geist und Buchstabe steht doch hinter dem eigenen Erleben des Apostels, der zunächst eine radikale Frömmigkeit des Buchstabens lebte. Denn mit dem „Damaskuserlebnis“ erkannte er, dass es allein auf den Geist ankommt. Das muss eine große innere Revolution gewesen sein, die eines langen Nachdenkens bedurfte. Musste er doch das Fundament seines bisherigen Glaubens und Lebens aufgeben, ohne ein neues Fundament zu finden, das außerhalb seiner Person lag.

Seite 71: Warum geht Paulus nach seiner Bekehrung nicht nach Jerusalem, um dort von den Aposteln zu lernen? Buße bedeutet zu allererst Stille. Bei einer so radikalen Wendung muss man sich erst sammeln und stille werden. Nach Markus (und den anderen Synoptikern) ging Jesus nach seiner Berufung auch für eine gewisse Zeit in die Wüste.  Wenn eine Raupe sich zum Schmetterling wandeln soll, muss sie erst das harte Stadium der Puppe durchmachen. Da darf sie nicht gestört werden. Wir haben m der DDR 1989/90 „Wendehalse“ erlebt, die nach ihren eigenen Aussagen von einem Tag zum anderen ganz andere geworden seien. Sie bewiesen damit, daß sie noch die alten waren. Nur ihr Vokabular hatte sich geändert. Auch nach 1945 gab es Menschen, die von einem Tag zum anderen ihre Farbe von Braun zu Rot wechselten. Das waren die unangenehmsten Typen. So einer wollte Paulus nicht sein. Echte Buße muss reifen. Es ist dieses eine ganz harte Arbeit, die viel Zeit und Ruhe braucht.

Warum verbietet der Jude Paulus den Männern in der Versammlung die Kopfbedeckung? Weil es im römischen Reich so Sitte war, und die Bedeckung des Kopfes im Judentum erst später aufkam (Christian Wolff m „Der 1  Konntherbrief 2 Teil“ S 71 Anm 34 „Es entsprach romischer Sitte, dass der freie Mann sich im öffentlichen Leben unverhullt zeigte“)

Seite 72:   1  Kor 9,20 (nicht 9,11) Warum musste der Jude Paulus den Juden ein Jude werden? Das bedeutete doch er begegnete den anderen in deren Denkweise, den Juden in judischer Denkweise, die er schon abgelegt hatte ( Es ist allerdings merkwürdig, dass nur die Juden erwähnt werden ). Wer einen anderen gewinnen will, muss sich zuerst m dessen Lebens- und Denkweise versetzen. Er muss sich dessen Sprache bedienen.

Marcion lebte von 85 bis ca 160 144 wurde er aus der römischen Kirche ausgeschlossen. Wenn Marcion eine Fassung gereinigter Paulusbriefe herausgab, muss es diese schon gegeben haben. 1750 starb J S Bach und erst 1829 also fast 80 Jahre nach seinem Tode, wurde seine Matthäuspassion erstmals wieder aufgeführt. Bis dahin war diese Musik vergessen. Zu dem Argument, warum gab es erst so spät Spuren von Paulus? Die Christen waren anfangs eine sehr kleine und scheinbar unbedeutende Gruppe, die sich selber im Ruckblick natürlich ganz anders sah .

Seite 77: Die Aussagen der spateren Apostelgeschichte sollte man doch nicht gegen die Paulusbriefe anwenden. Zumal vorher festgestellt wurde, dass die Apostelgeschichte ein späteres Produkt war, die unter anderen Gesichtspunkten geschrieben wurde .

Seite 88: Anklänge an Paulus bei Justin. Wenn Paulus die Briefe geschrieben hat, dann können seine Gedanken in den Gemeinden weitergegeben worden sein, ohne ihn ausdrücklich zu zitieren. Sie waren in Gemeinden lebendig. Außerdem liegen manche Gedankengange m der Luft, sodass sie unabhängig von einander an verschiedenen Orten gedacht werden.

Da Paulus zu seinerzeit auch schon „Ketzer“ war, ist es nicht verwunderlich, dass Marcion ihm ähnlich war. Jedoch die Aufspaltung Gottes in den Demiurgen und den guten Gott empfinde ich als Irrlehre, die ich bei Paulus nicht finde. Die paulinische Theologie passte in ihrer Konsequenz weder in den Frühkathohzismus noch in andere verfestigte Kirchen.

Seite 133: Müssen sich Praexistenztheologie und Adoptionstheologie einander ausschließen? Erst die Auferweckung hat den Jesus, der von Gott berufen war bestätigt. Die Gemeinden mußten sich an den Christus erst herantasten. Da konnten die Aussagen nicht logisch eindeutig sein, so dass es keine Widersprüche gab. Man benutzte wohl auch überlieferte Redeweisen vom erhofften Messias. Nach den paulinischen Briefen beginnt das Evangelium erst mit Kreuz und Auferweckung. Dagegen hat, so vermute ich, zuerst Markus mit seinem Evangelium opponiert. Bei ihm beginnt das Evangelium mit der Taufe Jesu. Das bedeutet, vor Kreuz und Auferstehung gab es auch schon Evangelium. Matthaus lässt den Stammbaum mit Abraham beginnen, Lukas fuhrt ihn bis auf Adam, der von Gott ist, zurück, und Johannes legt den Beginn auf den Anfang der Schöpfung. Das Evangelium von der Liebe gilt in der ganzen Schöpfung. Die Praexistenztheologie ist doch wohl ein Produkt späterer Zeiten.

Seite 148: Zu Gal 5,11  Paulus kämpft hier gegen die „Gesetzlichen“. Wenn er noch die Beschneidung predigen wurde, dann würde er nicht verfolgt. Seibe Predigt war konsequenter als die Predigt der Judenchristen. Da musste es zu Differenzen kommen. Vielleicht stehen hinter diesem kurzen Satz Verleumdungen bzw Falschaussagen zu dem Wirken das Apostels. Ihm wurde eine falsche Predigt in den Mund gelegt.

Die nicht gelöste Fragen sind, wer hat mit welcher Absicht die Briefe geschrieben. Was wollte der Verfasser, und was wollten die Redaktoren ihren Gemeinden sagen? Und da gab es auch noch die Abschreiber, die manches nach ihrer Meinung verständlicher zu machen suchten, aber in Wahrheit nur verschlimmbesserten. Der Entstehungsprozess ist sehr schwierig. Vielleicht sollten wir nur fragen, was können wir heute für uns verstehen? Die Schriften sind kein Gesetz. Sie können uns aber helfen, das Evangelium in unserer Zeit zu verstehen und zu leben. Die Schriften der Bibel spiegeln Glaubenszeugnisse früherer Zeiten wider, an die wir nicht gebunden sind, zumal sie sehr unterschiedlich gedeutet werden können.

Seite 153: Gal 4,17. Der Schreiber des Briefes kann auch daran gedacht haben, dass die Judaisten die christlichen Galater von Evangelium, wie Paulus es verstand, ausschließen, trennen wollten, damit sie selbst umworben und anerkannt wurden. Es gab wohl schon m der frühen Zeit erhebliche Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen Die Lesart „uns“ muss sehr selten sein, denn im Nestel-Aland26 ist sie nicht vermerkt.

Seite 156: Hinter dem Leiden des Jungen Werther steht doch persönliches Erleben des jungen Goethe .

Seite 164: Gal. „4,14 Und ihr habt die Versuchung, die für euch in meinem Fleische lag, nicht mit Verachtung noch mit Abscheu erwidert, sondern wie einen Engel Gottes hab ihr mich aufgenommen, wie Christus Jesus.“

Hier schildert Paulus, wie er die Aufnahme in Galatien empfunden hatte. Daraus wurde dann wohl später die Formulierung, dass er wie ein Engel ausgesehen habe. Sie bleiben den Beleg schudig, warum Paulus so nicht hatte schreiben können. Wir sollten Ursache und Wirkung nicht verwechseln.

Seite 165: Tierkampf in Ephesus. 1. Kor „15,32 Wenn ich [nur] nach Menschenweise in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft habe, was hilft es mir?“ Wie man es auch deuten kann, der Schreiber des Briefes erinnert an den äußersten Einsatz des Apostels für das Evangelium. Ohne die Hoffnung, dass die Arbeit im Vertrauen zum Evangelium nicht vergeblich ist in dem Herrn, wäre solcher Einsatz sinnlos. Abgesehen von der Schwierigkeit der Auslegung, ob es nur eine bildliche Beschreibung der Bedrängnisse war, ist es doch deutlich, diese Erwähnung wurde später in den Paulusakten aufgenommen und legendär erweitert. Man kann nicht von den Paulusakten die Paulusbriefe deuten, denn die PA, die aus der Zeit nach Marcion stammen, nutzten Aussagen der Briefe zu ihren Legendenbildungen.

Seite 210f: Die Evangelien sind keine Pseudepigrafien. Sie wurden nicht zum Zweck der Täuschung geschrieben. Die Zuordnung zu den Verfassern bekamen sie erst später. Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse narrativer Theologie ihrer Zeit. Sie wollen nicht Historie schildern. Sie sind auch nicht als Glaubensgrundlagen für eine Großkirche verfasst worden.

Seite 214: Bei der Wiedergabe des Märchens von „Hans im Glück“, haben Sie das Schwein vergessen. Ich halte dieses Märchen für ein wahrhaft christliches, denn Hans findet dann glücklich nach Hause zu seiner Mutter, als er allen Besitz, allen Reichtum, alle Lebensfundamente verloren hatte. Dieses Märchen spricht gegen jede Habgier, gegen den Kapitalismus. Ziel des Evangeliums ist die Freiheit, Ziel des Kapitalisten ist der Besitz des Goldes.

Ich meine, wir können auch ohne in meinen Augen gewagte Konstruktionen zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Carl Beleites


Antwort von Hermann Detering, Berlin, Mai 03

Sehr geehrter Herr Beleites,

seien Sie zunächst herzlich für die freundliche und sachlich-besonnene Kritik an meinem Buch: „Der gefälschte Paulus“ bedankt. Viele Theologen haben sich bei der Kritik meines Buches diese Mühe nicht gemacht und auf die dort vertretenen Thesen in der Vergangenheit oft nur mit billigen polemischen oder persönlichen Bemerkungen beantwortet.  Ihr Schreiben  zeigt, daß es auch anders geht, und darüber freue ich mich. Ihre Anfrage gibt mir überdies Gelegenheit, einige Punkte, die in meiner Argumentation, allzu kurz gekommen sind und zu Mißverständnissen Anlaß gegeben haben, etwas ausführlicher darzustellen. So möchte ich Ihren Brief der Reihe nach beantworten:

Zunächst schreiben Sie, daß Sie meiner „Argumentation für eine Verfasserschaft der Briefe durch Marcion oder einige Marcioniten“ nicht folgen können.

Doch Sie setzen sich nicht mit den einzelnen Argumenten auseinander, die ich in diesem Zusammenhang für eine marcionitische Herkunft der Briefe angeführt habe.

Um nur den wesentlichen Punkt zu nennen: der Vergleich zwischen marcionitischer  und katholischer Rezension, aus dem hervorgeht, daß die marcionitische Version älter ist als die katholische. Ich habe bisher noch keinen Neutestamentler  kennengelernt, der die  Argumente, die dafür von mir angeführt wurden  (siehe die entsprechenden Analysen am Galaterbrief und Römerbrief auf meiner Website www.radikalkritik.de), überzeugend widerlegt hätte.

Nun räume ich gerne ein, daß aus der These „Marcion war der erste!“ noch keine Schlüsse in bezug auf marcionitische Verfasserschaft gezogen werden können. Marcion und die Marcioniten können selbstverständlich die älteste und ursprüngliche Form der Paulusbriefe bewahrt haben – ohne deren Verfasser zu sein. In der Tat wäre ich schon zufrieden, wenn diese Auffassung allgemeine Anerkennung finden würde.

Aber abgesehen, daß in einem solchen Fall der „Paulus“ dieser Briefe ein ganz anderer, eben „gnostischerer“ wäre, als die meisten Theologen ihn uns präsentieren, treten nach meiner Ansicht zu den unbestreitbaren Tatsachen, daß Marcion 1. der erste war, der einen paulinischen Kanon besaß und daß  2. sein Text der Paulusbriefe offenkundig der älteste ist, eben eine Reihe anderer Beobachtungen hinzu, die in der Tat eine marcionitische Herkunft nahelegen, wie beispielsweise: der kaum retuschierte Doketismus des „Paulus“,  d.h. eine offensichtlich doketische Christologie (z.B. im Christushymnus des Phil) , die marcionitische, durch katholische Redaktion übermalte 2-Götterlehre, und all die anderen Dinge die ich in meinem Buch erwähne  (wie z.B. auch die Totentaufe). Diese Dinge werden oft, auch von Ihnen, als spätere Hinzufügungen aus dem 2. Jahrhundert interpretiert. Warum so umständlich, wenn es auch einfach geht? Zusammen mit Beobachtung 1 und 2 ist alles viel klarerer: die Briefe sind pseudepigraphische Produkte aus marcionitischer Schule. Sie wurden im 2. Jahrhundert verfaßt, um im Namen des legendären Gemeindpatrons Paulus marcionitische Positionen gegenüber anderen theologischen Richtungen zu behaupten.

Zu Recht erwarten Sie von mir den Nachweis, aus welcher Situation der Verfasser der Briefe schreibt, zu welchen Problemen er Stellung bezieht etc. Ich meine aber, daß ich dies in den Kapiteln  „Wofür man die Paulusbriefe im 2. Jahrhundert gebrauchte“ und „Gegner des Paulus“ ausführlich getan und dort gezeigt habe, daß die Briefe durchaus vor dem Hintergrund der theologischen Auseinandersetzungen des 2. Jahrhunderts verstanden werden können, ja, daß sie dort viel besser verständlich sind  als innerhalb der geistes- und theologiegeschichtlichen Situation des ersten. Dazu auch meinen Aufsatz über die Gegner der Paulus im Galaterbrief auf meiner Website.

Die Aussage, daß pseudepigraphische Werke generell „flach und voller Wundergeschichten“ seien, halte ich für anfechtbar.  Schön wäre es ja, wenn Pseudepigraphie immer diese Kennzeichen aufwiese, dann könnte man sie ohne große Mühe und wissenschaftliche Untersuchung leicht erkennen.

Richtig ist daß den pseudepigraphische Werken häufig eine bestimmte Unschärfe und Unbestimmtheit zueigen ist, offenbar wegen der Furcht des pseudepigraphischen Verfassers, sich zu verraten. Aber warum sollten nicht auch Verfasser pseudepigraphischer Werke geistreiche und gehaltvolle Schriften verfassen können? Fast alle Schriften aus Nag Hammadi sind pseudepigraphisch. Sie sind zum Teil gehaltvoller und intellektuell anspruchvoller als einige unserer neutestamentlichen Texte.

Paulus zitiert ausschließlich die Septuaginta: Sie haben recht, einen „Beweis“ dafür, daß Paulus keinerlei Hebräischkenntnisse besaß, kann man darin nicht sehen. Aber ein Indiz – neben anderen Indizien im (Sinne einer „kumulativen Evidenz“), aus denen ebenfalls hervorgeht, daß der Verfasser der Paulusbriefe offenbar kein geborener Jude war (siehe z.B. die Diskussion um 1 Kor 11:4 unten).

Ein bemerkenswertes Indiz zudem, da Paulus nach Angabe der Apostelgeschichte (5:34) Schüler des Gamaliel, nach eigener Angabe „nach dem Gesetz ein Pharisäer“ (Phil 3:5) war  und  im Judentum viele seiner Altersgenossen in seinem Volk weit übertraf „und eiferte über die Maßen für die Satzungen der Väter“ (Gal 1:14). Hat dieser Jude Paulus denn alles vergessen, was er einstmals gelernt hat? Seine rabbinische Schulung müßte doch irgendwo ihre Spuren hinterlassen haben. Gewiß, auch Philo und Josephus zitieren das AT durchweg in der LXX –Version.  Aber sie sind mit der hebräischen Sprache und der jüdischen Tradition vollkommen vertraut, wie an vielen Stellen deutlich wird. Nennen Sie mir im Gegensatz dazu eine einzige Stelle in den paulinischen Briefen, an der nähere Kenntnis des Verfasser mit dem Hebräischen nachgewiesen werden kann. Sein Griechisch ist, wie Eduard Norden feststellte, ausgezeichnet, fast zu gut für einen geborenen Juden. Vergleichen Sie es nur mit dem Griechisch des Verfassers der Offenbarung.

Jerusalem wird bei Paulus nicht erwähnt: Hier können wir es kurz machen. Sie haben recht! Auch wenn die von Ihnen aufgeführten Stellen nach meiner Auffassung spätere katholische Interpolationen sind, auch wenn Paulus erstaunlicherweise nicht das Geringste  von den in Jerusalem stattfindenden Vorgängen um die Passion Jesu weiß (woran ich in diesem Zusammenhang natürlich dachte), hätte ich Jerusalem in diesem Zusammenhang unerwähnt lassen müssen. Ich habe den ärgerlichen Fehler in der demnächst erscheinenden englischen Ausgabe des Buches bereits korrigiert.

Paulus schreibt den Römern einen Brief unmittelbar vor seinem Eintreffen: Eine kurze Anmeldung oder ein Schreiben vom Umfang des Römerbriefs, der zu den längsten Briefen der antiken Literatur gehört, sind zwei verschiedene paar Schuhe. „Natürlich“ ist ein solches Schreiben  – kurz vor dem Eintreffen des Apostels selber – nicht. Und das bestätigt ja auch die Mehrzahl der neutestamentlichen Exegeten, die das Problem, das hierin liegt,  als solches erkennen und anerkennen und dafür eine Vielzahl von Lösungen vorgeschlagen haben.

Überdies: mußte sich Paulus überhaupt noch vorstellen (so wie Sie sich in der rumänischen Gemeinde, wo man Sie nicht kannte, vorgestellt haben)? Wenn die Grußliste authentisch sein sollte (was sie natürlich nicht ist) , müßte er ja fast die gesamte römische Gemeinde namentlich gekannt haben. An vielen Stellen des Briefes wird überdies deutlich, daß die Gemeinde längst mit der paulinischen Glaubenswelt und den paulinischen Formeln und Bekenntnissen vertraut und in ihnen unterrichtet worden war. Was Paulus ihr schreibt, ist nur zur „Erinnerung“ an das schon Bekannte (15:15). Nach alledem ist es kaum wahrscheinlich anzunehmen, die römischen Gemeindeglieder hätten – wie in Ihrem Falle – nicht gewußt, „mit wem sie sich einließen“.

Das Selbstbewußtsein des Apostels. Daß auch „ein bescheidener Mensch … manchmal für sich kämpfen muß“, wie Sie schreiben, mag wohl richtig sein. Doch geht es m.E. bei den zitierten Stellen nicht darum, daß sich einer selbstbewußt ins rechte Licht rücken will, sondern seiner Person geradezu, wie der Theologe Brox im Hinblick auf die Pastoralbriefe gesagt hat, eine „Schlüsselstellung im Heilsprozeß“ zuschreibt. Das ist etwas anderes als ein gesundes Selbstbewußtsein.

Merkwürdig nur, daß die Exegeten eben diese paulinische Selbststilisierung in den Pastoralbriefen erkennen und richtigerweise für ein Zeichen des pseudepigraphischen Charakters der Briefe halten, in den als echt betrachteten Briefen jedoch über ähnliche Aussagen des Apostels schweigend hinweggehen. Können Sie mir sagen, worin der Unterschied zwischen 1 Tim 1,16

Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, daß Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.

– ein Vers, von dem N. Brox sagt: „Solche Verabsolutierung der eigenen Person … ist aber unpaulinisch“ – und Stellen wie Phil 3,17:

Ahmet miteinander, ihr Brüder, mein Beispiel nach und habet acht auf die, welche so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt!“ – vgl. Gal 1:15  „Als es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat…“) usw. besteht? Ich vermag keinen zu entdecken . Ich erkenne nur die Voreingenommenheit von Exegeten, die mit zweierlei Maß messen.

Die Gefangenschaft des Paulus. Gefangenschaft (Phil 1;7;1:14;1:17) und Fesseln (Phil 1:13) passen nach meiner Auffassung in der Tat nicht zu Phil 2:25 (und 4:10). Aber ich will auf diesem Punkt nicht insistieren, lassen wir es bei der „lockeren Untersuchungshaft“. Obschon, mir erscheint  das, was Lukas über die Art der Gefangenschaft des Paulus Apg 16 sagt (Paulus in Privatwohnung, mit drei bewachenden Soldaten), nicht sehr realistisch.  Eher handelt es sich doch wohl eher um eine tendenziöse Fiktion des Lukas. An dieser Stelle müßten wir näher in das Römische Strafrecht  eindringen.

Christushymnus, spätere Stücke in den Briefen: siehe oben meine Einleitung.

Sie schreiben, daß der Christus des Paulus ein wirklicher Mensch gewesen sei. Aber Paulus interessiert sich gar nicht für den „wirklichen Menschen“, d.h. „den Christus nach dem Fleisch“ (2 Kor 5,16) . Er weiß über diesem „Menschen“ nicht mehr, als daß er „geboren“ (wenn man Gal 4:4 nicht überhaupt als Einschub betrachten will, wie ich es tue) und gekreuzigt wurde, nicht in Jerusalem unter Pontius Pilatus, sondern irgendwo (vermutlich in der mythischen Sphäre) unter den Augen der „Herrscher der Welt“ (1 Kor 2,8) , d.h. böser spiritueller Mächte.  Von einem wirklichen Menschen Christus finde ich bei Paulus nichts. Earl Doherty hat in seinem eben in deutscher Übersetzung erschienenen Buch: Das Jesus-Puzzle, eindrücklich gerade auf diesen Tatbestand hingewiesen.

Buße:  Daß Paulus in dieser Zeit Buße getan haben soll, ist Ihre Interpretation. Das ist eine sehr einfühlsame Psychologisierung des paulinischen Verhaltens, die aber aus den Texten nicht zu belegen ist.  Oder können Sie mir einen Vers aus dem Corpus Paulinum nennen, der diese Hypothese stützt? In jedem Fall hätte Paulus unmittelbar nach seiner Bekehrung drei Jahre seines Lebens verstreichen lassen, in denen er Gelegenheit gehabt hätte, Näheres über eben denjenigen zu erfahren, zu dessen Verkündigung er in der Vision berufen worden war.

Die Kopfbedeckung des Mannes beim Gebet (1 Kor 11:4) : Hier geht es natürlich noch nicht um die Bedeckung des Hauptes durch die – erst später aufgekommene  –  Kippa, sondern mit dem Gebetsmantel bzw. –schal (tallith). Für den aus dem babylonischen Judentum kommenden und von dort übernommenen Brauch gibt es auch aus neutestamentlicher Zeit einen Beleg: vgl. Strack.Billerbeck, III, S. 426:

Naqdemon (Nikodemus) b. Gorjon (gegen 70) ging in das Lehrhaus, verhüllte sich u. stand im Gebet.

Aus späterer Zeit noch mehr Belege ebd.

Henri Daniel-Rops in seinem populär-wissenschaftlichen Buch über „Die Umwelt Jesu“, S. 332, weiß: „Wenn der gläubige Jude sein Gebet sprach, mußte er sich in den tallith hüllen, den ‚Gebetsschal‘, und die tephillin tragen.“

Mit dem Brauch wollte man zum Ausdruck bringen, daß man sich der Gegenwart der Gottheit bewußt sei. Siehe schon 1. Kön. 19:13  bei der Gottesbegegnung des Elia:

Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?

Aber auch und gerade, wenn der Brauch, das Haupt beim Gebet zu bedecken, in neutestamentlicher Zeit innerhalb des Judentums noch nicht unumstritten gewesen sein sollte, hätte der Verfasser des Briefes – wäre er wirklich Jude und Schüler des Gamaliel gewesen (Acta 5:34) – kaum ein solch apodiktisches Verbot ausgesprochen in bezug auf eine Handlung, die vielen Glaubensgenossen als Demonstration der Frömmigkeit und Ehrfurcht galt.

Christian Wolffs Kommentar in Ehren! Aber seine Quellen würden mich interessieren. Häufig benutzen die Neutestamentler nämlich 1 Kor 11:4 selber als Quelle für ihre Behauptung, der Brauch der Bedeckung des Kopfes beim Gebet müsse erst später aufgekommen sein, da Paulus sonst nicht so hätte reden können. Die Möglichkeit, das Verbot der Kopfbedeckung  könne sich dadurch erklären, daß der Verfasser des Briefes gar kein Jude war, wird von ihnen überhaupt nicht erwogen. Methodisch ist das sehr fragwürdig.

Den Juden ein Jude: 1 Kor 9,29 statt 9,11, Danke! Hier handelt es sich im übrigen nicht  um ein zentrales Argument, ich kann Ihre Erklärung gerne gelten lassen – wenn Sie mir ebenfalls zubilligen, daß die Formulierung im Munde eines geborenen Juden seltsam klingt.

Spätes Erscheinen der Briefe: Richtig, die erste Wiederaufführung der  Matthäuspassion durch Mendelssohn geschah am 11. März 1829 – 100 Jahre nach der ersten Aufführung. Immerhin steht aber das Datum der ersten Aufführung völlig zweifelsfrei fest.  Über das erste Erscheinungsdatum der paulinischen Briefe  gibt es kaum dieselbe Einhelligkeit unter den Wissenschaftlern. Da der 1. Clemensbrief und die Ignatianen als Zeugen gewiß ausfallen müssen, ist Marcion der erste, bei dem sich die Existenz eines Kanons paulinischer Briefe nachweisen läßt.

Apostelgeschichte contra Paulusbriefe: Die Auflistung von Widersprüchen zwischen der Apostelgeschichte und Briefen soll nicht „gegen die Paulusbriefe“ angewendet werden, sondern zunächst nur die theologische Tendenz der Apg verdeutlichen. Beide, Apg und Briefe, vertreten unterschiedliche Paulusbilder, die polemisch einander  gegenübergestellt werden.

Mein daran anschließender Gedanke ist dann in der Tat:  Wenn Apg und Briefe solcherart in einem polemischen Gespräch miteinander befinden, werden sie doch wohl auch zur selben Zeit entstanden sein.

Justin: Hier machen Sie es sich aber wirklich zu leicht! Darüber daß Justin Mitte des 2. Jahrhunderts in seinem umfangreichen Werk mit keinem einzigen Wort auf den großen Apostel und dessen Briefe zu sprechen kommt  – trotz mancher inhaltlich fast gleichlautender Textpassagen, sollte man nicht leichthin hinweggehen. Hier liegt in jedem Fall ein Rätsel, d.h. gleich zwei, die man  unbefangen auf sich wirken lassen sollte: 1. der um die Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom lebende Justin kennt den Apostel Paulus nicht  (aber er kennt Marcion!). 2. Justins Werk enthält aber paulinische Formulierungen, zum Teil wortwörtliche (so daß ein gleichzeitiges „In-der-Luft-Liegen“ von ähnlichen Gedankengängen ausgeschlossen werden kann). Ich kenne keine plausiblere Lösung dieses Problems als die „radikale“, also:

Justin nennt Paulus deswegen nicht, weil dieser zu seiner Zeit noch als „Apostel der Häretiker“ gilt und Justin noch um die häretisch marcionitische Herkunft dieser Briefe weiß.  Die Übereinstimmungen erklären sich dadurch, daß Justin den (in seinen Augen marcionitischen) Apostel nicht ausdrücklich nennen wollte – oder aber daß die paulinischen Briefe später auf der Grundlage von Justins Werk überarbeitet wurden.

Sie fragen, ob Praeexistenz und  Adoptionschristologie sich wirklich einander ausschließen müssen. Ich meine, in der Person ein- und desselben Theologen: Ja! Mögen in den Gemeinden auch unterschiedliche Vorstellungen bestanden haben,  in einer Person werden sie sich kaum vereinigt haben – wenn wir nicht annehmen wollen, daß diese schizophren  gewesen sei.

Man kann nicht zugleich Anhänger Bultmanns und – um ein willkürliches Beispiel zu nennen – der biblizistischen Theologie eines Herrn Riesner sein.  Um einen hypothetischen Fall zu nennen: Wer als Bultmannianer Riesner zitierte, würde dies kaum ohne  den gehörigen Abstand tun.

Die Praeexistenztheologie ist nach Ihren eigenen Worten ein Produkt späterer Zeiten (ich nehme an, Sie denken an das 2. Jahrhundert). Was hat sie dann in den Aussagen des Paulus zu suchen (z.B. Röm 8,3; Gal 4,4)?

Gal 5:11 : Ich aber, liebe Brüder, wenn ich die Beschneidung noch predige, warum leide ich dann Verfolgung? Dann wäre das Ärgernis des Kreuzes aufgehoben.

Sie vermuten zu Recht, daß Paulus diffamiert worden sein könnte. Ich sage nichts anderes. Im Gegensatz zu Ihnen nenne ich nur eine Stelle, die in den Augen des Verfassers des Galaterbriefs als eine solche Diffamierung aufgefaßt werden könnte: Apg 16,3, die Beschneidung des Timotheus!

Die nicht gelösten Fragen sind, wer hat mit welcher Absicht die Briefe geschrieben: Sie können gerne sagen, daß Sie mit meiner Lösung nicht einverstanden sind und daß sie in Ihren Augen falsch ist  – aber nicht, daß ich Sie Ihnen schuldig geblieben wäre. Lesen Sie nur 144ff:  Wofür man die Paulusbriefe im 2. Jahrhundert gebrauchte. Siehe auch meinen Aufsatz über die Gegner des Paulus im Galaterbrief auf meiner Website.

Die Schriften der Bibel spiegeln Glaubenszeugnisse früherer Zeiten wider, an die wir nicht gebunden sind, zumal sie sehr unterschiedlich gedeutet werden können.

Ich mit Ihnen vollkommen einer Meinung.

Weiter schreiben Sie:

Wer die Briefe geschrieben hat, ist letztlich belanglos. Es kommt auf den Inhalt und unser Verstehen an.

Das ist eine Einstellung, die es uns möglich macht, die Frage der Echtheit der Paulusbriefe vollkommen sine ira et studio zu erörtern!

Pauluslegende, Engel, Tierkampf: Schuldig bleibe ich die Erklärung, warum Paulus so nicht habe schreiben können, nicht.  Seite 81 frage ich, wie es denn kommen konnte, daß die Galater Paulus wie Christus Jesus aufnahmen, der  ihnen bis dahin noch gar nicht bekannt war und erst durch die Predigt des Apostels bekannt gemacht werden sollte.

Ihre Erklärung , die Paulusakten seien hier von den Briefen abhängig, ist die allgemein verbreitete, aber ist sie darum die richtige? Was Ursache und Wirkung betrifft, so verhält es sich mit historischen Dingen leider nicht wie mit naturgesetzlichen, da es keinen allgemein anerkannten chronologischen Kanon gibt, der uns definitiv sagen könnte, was „Erstens, zweitens, drittens käm“– und was also Ursache und was Wirkung ist. Diese Dinge sind auf historischem Gebiet alle komplizierter. Wenn auch die Paulusakten in ihrer jetzigen Gestalt später entstanden sind als die Briefe, kann es durchaus mündliche oder schriftliche Vorstufen gegeben haben, die älter waren und an die der Verfasser der Briefe (aus dem 2. Jahrhundert) anknüpfen konnte.  Die Grundzüge der Paulus-Legende, zu der u.a. die Engelgesicht- und Tierkampftradition gehört haben könnten, kann ihm also durchaus geläufig gewesen sein

Die meisten Exegeten nehmen an, daß die Rede vom „Tierkampf“ selbstverständlich sinnbildlich zu verstehen sei und daß also nur der Verfasser der Paulusakten sie wörtlich verstanden also mißverstanden habe, indem er daraus seine Legende formte. Ich lasse das auf sich beruhen. Mir fällt es – auch aus dem Zusammenhang des Textes heraus – leichter, die Worte des Paulus als eine knappe Anspielung auf eine im Umlauf befindliche Pauluslegende zu verstehen, statt  anzunehmen, der kurze Vers sei in der Phantasie eines Späteren zu einer seitenfüllenden Abenteuergeschichte aufgebläht worden. Erinnern möchte ich auch noch an :

2 Tim 4:17  Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Botschaft ausgebreitet würde und alle Heiden sie hörten, so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen.

Auch diese Verse werden von den modernen Exegeten sinnbildlich verstanden. Nach meiner Ansicht haben wir es hier aber mit eine weiteren Anspielung an die ephesinische „Tierkampftradition“ zu tun.

Persönliches Erleben/leidender Werther: Warum könnte nicht ebenso auch hinter den Briefen des „Paulus“ das persönliche  Erleben eines pseudepigraphischen Verfassers liegen? Will sagen: das persönliche Erleben eines Verfassers, der die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit in seinen Briefen in verschlüsselter Form in die Anfangszeit des Christentums zurückprojiziert. Der Zweck wäre auch klar. Die Worte des Apostels aus der Vergangenheit sollen die Position des Verfasser in der Gegenwart legitimieren. Das ist kein außergewöhnliches, sondern  ein vielfach geübtes Verfahren in der (christlichen) Antike.

Evangelien keine Pseudepigraphien. Das ist eine Definitionssache. Eine Reihe von Wissenschaftlern sieht das anders und bezeichnet auch die Evangelien als Pseudepigraphien, was sie ja formal auch in der Tat sind. Daß die Zuordnung zu den Verfassern erst später erfolgte, behaupten viele ntl. Wissenschaftler – ohne das schlüssig beweisen zu können. Möglicherweise steckt dahinter nur die Tendenz, die Evangelienschreiber von dem Vorwurf des „Betruges“ zu entlasten.

Ich kann mir kaum vorstellen, daß die Evangelien jemals anonym existierten.  Die ersten Verfasser, um wen es sich dabei auch immer gehandelt haben mag, hätten ihr Werk durch fehlende Verfasserangabe und das hätte ja geheißen: durch fehlende Autorisierung, entwertet.

Sehr geehrter Herr Beleites,

nochmals vielen Dank für Ihre gründliche und förderliche Kritik.

Was Ihre Betrachtung des Märchens Hans im Glück betrifft, stimme ich Ihnen voll zu. Aber warum deuten Sie es nur als Kritik an Habgier und Besitz im materiellen Sinne? Es gibt auch unter Christen eine unangenehme geistliche (dogmatische) Besitzstandswahrung. Angesichts der sympathisch „liberalen“ Einstellung, die aus Ihren Zeilen spricht,  könnte ich mir durchaus vorstellen, daß auch Sie damit bereits einschlägige Erfahrungen gemacht haben.

Mir freundlichen Grüßen

Ihr HDetering

PS: Verzeihen Sie mir das vergessene Schwein!