Arthur Drews – Biographisches

Abgesehen von Bruno Bauer und Albert Kalthoff gehört der Karlsruher Philosoph Arthur Drews zu den bekanntesten deutschen Bestreitern der Existenz eines historischen Jesus. Nach dem Erscheinen seines Buches: „Die Christusmythe“ (1909)  kam es zu heftigen öffentlichen Kontroversen. Albert Schweizer  hat den von Drews aufgestellten Thesen in seiner „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ (1913) ein ganzes Kapitel gewidmet. Heute ist die „Christusmythe“ in Deutschland – anders als in den angelsächischen Ländern, in denen noch immer eine  Übersetzung (The Christ Myth) auf dem Markt ist  – weithin in Vergessenheit geraten.  Über den Verfasser weiß kaum jemand etwas.  Dr. Bernhard Hoffers ist den Spuren  des umstrittenen Verfassers der „Christumythe“ nachgegangen. In  seinem Vortrag bemüht er sich um eine gerechte Würdigung des umstrittenen Karlsruher Gelehrten, „sine ira et studio“.  

Arthur Drews (1865 – 1935), Professor der Philosophie an der Technischen Hochschule Karlsruhe

Vortrag von Dr. Bernhard Hoffers, Lehrte, im Geschichtssalon Karlsruhe, 24.  April 2003

Arthur Drews wurde am 1. November 1865 in Uetersen in Holstein geboren. Nach Studium der Germanistik und Philosophie in München und Berlin legte er 1889 in Halle das Doktorexamen in Philosophie ab. Er beabsichtigte, die akademische Laufbahn einzuschlagen. Nachdem Habilitationsversuche an einer deutschen Universität mehrfach scheiterten, habilitierte Drews sich 1896 an der Technischen Hochschule Karlsruhe und verblieb dort für den Rest seines Lebens. Eine planmässige Anstellung erfolgte erst 1928, und im Jahre 1933 wurde ihm ein persönliches Ordinariat eingerichtet. Bewerbungen auf ein Ordinariat an einer Universität blieben erfolglos, ebenso Bemühungen um eine bessere Stellung in Karlsruhe 1910 und 1921, einmal vom badischen Großherzoghaus und von der Hochschule unternommen. Drews starb am 19. Juli 1935 in der Heilanstalt Illenau.

Drews hinterliess ein umfangreiches literarisches Werk, Bücher und Aufsätze über eine grosse Vielfalt von Themen und war auch sehr aktiv in der Öffentlichkeit, hielt viele Vorträge und nahm eine prominente Rolle ein bei der freireligiösen Gemeinde in Südwestdeutschland. Ich möchte kurz das Werk von Drews vorstellen, nach Inhalt und Auswirkungen für den Autor, eine kurze Charakteristik des Philosophen und des Menschen geben und Ihnen darlegen, warum sich meines Erachtens die Beschäftigung mit Drews lohnt und wo man ansetzen sollte, wenn man eine umfassendere Darstellung von Drews und seinem Werk geben wollte.

Leben und Karriere oder vielmehr Nichtkarriere von Drews wurden durch die Begegnung mit einem Mann entscheidend bestimmt; dieser Mann war der Philosoph Eduard von Hartmann. Drews besuchte von Hartmann in Berlin zum ersten Male im November 1888. Drews sollte ihm nicht nur sein Leben lang die Treue halten, sondern wurde auch ein eifriger Anhänger seiner Philosophie, die er in der Öffentlichkeit vertrat. Von Hartmann schrieb ja bekanntermassen in jungen Jahren die „Philosophie des Unbewußten“, die einen großen Erfolg beim Publikum hatte. Eine Berufung an eine Universität lehnte von Hartmann ab und war in der Folgezeit als Privatmann schriftstellerisch tätig, er schrieb zahlreiche Bücher und Aufsätze über Philosophie, Naturwissenschaft, Psychologie, Politik und Zeitfragen. Von Hartmann lehrte die Existenz eines einzigen metaphysischen grundlegenden Prinzips, des Unbewußten, das in dem Akt einer logisch nicht nachvollziehbaren Differentiation aus der ursprünglichen Einheit von Willen und Vorstellung die Welt, wie wir sie kennen, geschaffen hat und nun wieder die Welt dazu benutzen will, aus dem unglücklichen Zustand des Wollens zurück in den Ausgangszustand zu gelangen, was dann die Aufhebung der Welt bedeutet. Religionsphilosophisch bedeutet dies für von Hartmann die Wesenseinheit von überpersönlichem Gott, dem Menschen und der Welt; von Hartmann führt dies näher in seinem Buch „Die Religion des Geistes“ aus. Die religiöse Betätigung des Menschen ist demnach ein Beitrag zur Erlösung der Welt, zu deren Rückführung ins Nichts. Diese Auffassung war natürlich eine völlig andere als die auf christlicher Grundlage aufbauenden, und wird von mir hier nur kurz erwähnt, um zu zeigen, wie weit von Hartmann von den gängigen philosophischen Lehren seiner Zeit abwich. Sigmund Freud bediente sich bei seinen Arbeiten zur Psychologie des Unterbewussten übrigens kräftig bei von Hartmann, ebenso C. G. Jung, ohne dass dies beide allerdings einer Erwähnung wert hielten. Dies soll Ihnen beispielhaft zeigen, wie von Hartmann von den offiziellen akademischen Zeitgenossen ignoriert wurde, insbesondere von den Philosophen, und es hat sich daran eigentlich bis heute nichts geändert. Drews trat nun vehement für die Anschauungen seines Lehrers ein, und da sich diese außerhalb des akademischen Kanons befanden, waren Schwierigkeiten für ihn zu erwarten, was seine Stellung an den Hochschulen und in der philosophischen Fachwelt angeht.

Ich möchte Ihnen nun einen kurzen Überblick über die Buchveröffentlichungen von Drews geben und dabei schon einiges zu den Reaktionen der Umwelt darauf sagen, bevor wir zu einer Würdigung von Drews kommen und die Frage zu beantworten versuchen, warum sich eine Beschäftigung mit Drews lohnt.

Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass Drews seine schriftstellerische Laufbahn mit zwei Büchern der schönen Literatur begann; ich selber habe diese noch nicht kennengelernt. Doch möchte ich Ihnen kurz die Titel nennen: „Irold. Eine Rhapsodie“, die er als Schüler verfasste und die 1887 veröffentlicht wurde. 1888 folgte das Epos in Hexametern „Judas Ischarioth“, welches er von Hartmann zuschickte und daraufhin die oben erwähnte Einladung des Philosophen erhielt. Die erste bedeutende Veröffentlichung ist dann „Die deutsche Spekulation seit Kant mit besonderer Rücksicht auf das Wesen des Absoluten und die Persönlichkeit Gottes“, 1893, in zwei Bänden. Ein Versuch, sich damit in Berlin zu habilitieren, scheitert. Für einen neuen Versuch schreibt er „Kants Naturphilosophie als Grundlage seines Systems“, 1894, und muss erleben, dass seine Sicht Kants durch die Brille von Hartmanns an den deutschen Universitäten nicht geschätzt wird; weitere Versuche zur Habilitation scheitern wiederum in Berlin, in Breslau und in Strassburg im Elsass. Das Buch selber hatte kein gutes Schicksal, der Verlag ging ein, und die Restauflage wurde makuliert. Das nächste Werk von ihm erschien 1897, nach der Habilitation in Karlsruhe, mit dem Titel „Das Ich als Grundproblem der Metaphysik“, in dem er die Nichtsubstantialität des empirischen Ichs zu begründen sucht, ein Thema, das sich bis zum Schluss durch sein Werk ziehen wird. Auch von diesem Buch wurde ein Teil der Auflage eingestampft. Im folgenden Jahr, also 1898,  veröffentlichte Drews „Der Ideengehalt von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ in seinen Beziehungen zur modernen Philosophie“, in der die Ringdichtung unter dem Gesichtspunkt der Philosophie Ludwig Feuerbachs und Arthur Schopenhauers betrachtet wird und wobei Drews zu dem Schluss kommt, dass es sich um eine dichterische Vorwegnahme der von Hartmannschen Philosophie handelt. Da Richard Wagner die Philosophie von Hartmanns abgelehnt hatte, war man in Bayreuth nicht sehr erbaut über dieses Buch, was zu einer abschätzigen Bemerkung in Glasenapps grosser Wagnerbiographie führte. 1902 folgt „Eduard von Hartmanns philosophisches System im Grundriss“ anlässlich des 60. Geburtstages Eduard von Hartmanns, eine zweite, erweiterte Ausgabe kommt 1906 heraus. 1903 gab Drews Schellings Münchener Vorlesungen „Zur Geschichte der neueren Philosophie“ und „Darstellung des philosophischen Empirismus“  ausführlich erläutert heraus. 1904 folgte eine Darstellung „Nietzsches Philosophie“, 1905 eine kommentierte und gekürzte Ausgabe von Hegels „Religionsphilosophie“. Mit der Hegelausgabe kam zum ersten Male ein Buch von ihm im Eugen Diederichs Verlag heraus. 1906 erschien dort auch eines seiner Hauptwerke, „Die Religion als Selbstbewusstsein Gottes“, in dem die oben kurz erwähnten Gedanken von Hartmanns näher ausgeführt werden. 1907 kommen heraus „Das Lebenswerk Eduard von Hartmanns“ und „Plotin und der Untergang der antiken Weltanschauung“. Es sind dies 11 Bücher von ihm, die er bis zum 42. Lebensjahr veröffentlichte, hinzu kommen die zwei schöngeistigen Werke und ein von ihm zurückgezogenes Werk über von Hartmann aus dem Jahr 1889, insgesamt also 14 Bücher, eine beachtliche Leistung. Drews bemühte sich nicht nur, die Fachwelt mit seinen Büchern zu erreichen, sondern wollte auch immer ein breiteres Publikum ansprechen. Er tat dies durch zahlreiche Aufsätze und Rezensionen in vielerlei, auch sehr angesehenen Zeitschriften, wie etwa den Preußischen Jahrbüchern. Daneben arbeitete er in weltanschaulichen Gesellschaften mit, wie etwa dem Monistenbund oder dem Werdandibund. Für den Monistenbund gibt er 1908 das zweibändige Werk „Der Monismus“ heraus.

Das Jahr 1909 sollte das für Drews entscheidende Jahr werden. Zu Ostern kam sein „Die Christusmythe“ heraus, in dem er die Historizität von Jesus Christus bestritt. Er griff dabei auf zeitgenössische theologische Strömungen zurück, so etwa auf den Bremer Pastor Kalthoff, und wandte sich gegen den liberalen Jesuskult. Sein Ziel war dabei sicherlich auch, seinen eigenen religiösen Vorstellungen mehr Gehör zu verschaffen, indem der überkommenen Religion die historische Grundlage entzogen wird. Die Resonanz war eine ungeheure, es kam zu zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, in denen Drews seine Ansichten vertrat, so unter anderem zu dem seinerzeit Aufsehen erregenden Berliner Religionsgespräch, das zwischen Drews und Anhängern und Kirchenvertretern stattfand. Es kam zu zahlreichen polemischen Veröffentlichungen, gerade von kirchlicher Seite, die von Drews in dem zweiten Band der Christusmythe 1911 beantwortet wurden. Daneben entstand noch die „Petruslegende“, eine kritische Auseinandersetzung mit der Überlieferung der Geschichte des Apostels Petrus. Die Argumente von Drews für seine These der Ahistorizität Jesu sind das Fehlen beweiskräftiger ausserchristlicher Quellen, die Abhängigkeit des Inhaltes der biblischen Berichte in den Evangelien von gängigen mythologischen Vorstellungen sowie die Schwierigkeiten, die die historische Kritik der Theologen selber aufgedeckt hat. Für Drews persönlich hatte die Christusmythe zur Konsequenz, dass sich eine Berufung nach Bern sowie eine anscheinend beabsichtigte Verbesserung seiner Stellung in Karlsruhe zerschlugen. Drews liess sich jedoch nicht entmutigen, und vertrat seine Ansichten zur Entstehung des Christentums weiter. Zunächst jedoch veröffentlichte er 1913 seine „Geschichte des Monismus im Altertum“, in der er die antiken Wurzeln des Monismus darstellte. Zwei Bändchen der Sammlung Göschen von insgesamt vier über die Geschichte der Philosophie im 19.Jahrhundert und der Gegenwart erschienen noch vor dem ersten Weltkrieg, die anderen 1921 und 1922. Während des Krieges erschien lediglich 1917 seine Schrift „Freie Religion“ mit dem Untertitel „Vorschläge zu einer Weiterführung des Reformations-Gedankens“ zum 400. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlages. In Anlehnung an die Form des Katechismus formuliert er auf wenigen Seiten seine religiösen Anschauungen, durchaus im Sinne des Gebrauchs in einer Gemeinde. Die Schrift erlebt zwei weitere Auflagen bis 1921. In diesem Jahr erscheinen zwei Bücher von ihm, die „Einführung in die Philosophie“ und „Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu“. In diesem Werk versucht er zu belegen, dass sich die Erzählung des Leben Jesu aus astralmythischen Gedanken ergibt und sich als der dreifache Gang der Sonne durch den Fixsternhimmel auffassen lässt. Das als historisch verstandene Geschehen der biblischen Überlieferung ist dabei komplett aus dem Himmelsglobus abzulesen. Drews musste jedoch wahrnehmen, dass eine solche Betrachtungsweise auf grundlegendes Unverständnis stiess und verfasste deshalb sein 1923 erschienenes Werk „Der Sternhimmel in der Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums. Eine Einführung in die Astralmythologie.“ 1924 folgte als abschliessendes grosses Werk zur Genese des Christentums „Die Entstehung des Christentums aus dem Gnostizismus“, in dem er die synkretistische Struktur des Christentums, das heisst, die völlige Abhängigkeit von den unterschiedlichsten religiösen und mythischen Überlieferungen nachzuweisen sucht. 1922 lässt er noch Aufsätze gegen die Steinersche Lehre der Anthroposophie erscheinen, „Metaphysik und Anthroposophie in ihrer Stellung zur Erkenntnis des Übersinnlichen“. Das umfangreiche Werk „Psychologie des Unbewussten“, 1924, will eine systematische Begründung einer wissenschaftlichen Psychologie nach Prinzipien der von Hartmannschen Philosophie geben. Es folgen Neuauflagen, 1924 die völlig neu bearbeitete „Christusmythe“ und die „Petruslegende“, 1925 die „Religion als Selbstbewusstsein Gottes“. 1926 gibt er einen Rückblick auf „Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu in Vergangenheit und Gegenwart“, 1928 werden das „Lehrbuch der Logik“ veröffentlicht und die „Marienmythe“, die die Geschichte der Mutter Gottes der christlichen Religion behandelt. Das Werk über das Markusevangelium erscheint in einer zweiten Auflage. Drews erhält nunmehr eine planmässige Anstellung an der TH Karlsruhe. In der Folgezeit erscheinen noch mehrere kleine Schriften, in denen er allgemeinverständlich für seine religiösen Vorstellungen wirbt. 1931 kommt seine Monographie „Der Ideengehalt von Richard Wagners dramatischen Dichtungen in Zusammenhang mit seinem Leben und seiner Weltanschauung. Mit einem Anhang: Nietzsche und Wagner“ heraus, ein Werk, das von der Wagnerliteratur zwar zitiert wird, aber wohl kaum rezipiert wurde. Ich halte es für eines der besten Bücher über Wagner, die ich kenne, und viele seiner Gesichtspunkte werden erst wieder viel später aufgenommen, ohne ihn zu nennen. 1935, im Jahre seines Todes, erscheint noch sein letztes Werk, „Deutsche Religion“, eine Sammlung allgemein gehaltener Aufsätze zu den altbekannten religiösen Themen. Von den Werken zur Entstehung des Christentums erschienen Übersetzungen ins Englische, Französische und Russische. Zum Schluss dieses Überblicks möchte ich Ihnen noch zwei Quellen zu Werk und Persönlichkeit nennen, die „Selbstdarstellung“ von Drews aus dem Jahre 1925 und die Edition des Briefwechsels mit Eduard von Hartmann aus dem Jahr 1996, die von den Herren Dr. Pilick und Mutter besorgt wurde.

Wie standen und stehen nun die Mitwelt und die Nachwelt zu diesem umfangreichen Werk? Die überaus vorwiegende Haltung ist nun die des Ignorierens, soweit es sich um die akademische Welt handelt. Hingegen scheint das interessierte Publikum Anteil an seinem Wirken genommen zu haben, wie aus seinen zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen und Vorträgen hervorgeht. Inwieweit hierbei auch Honorare eine Rolle spielten, weiss ich nicht, denkbar ist es schon. Offizielle Darstellungen der Universität Karlsruhe erwähnen ihn nicht. In der Stadt Karlsruhe ist sein Wirken nicht spurlos gewesen, in der Zeitung erschienen Gedenkartikel an ihn, und der alte Herr Kellner von der ehemaligen Braunschen Hochschulbuchhandlung wies mich noch in den siebziger Jahren auf Schriften von Drews hin. Wenn man dem Namen Drews in der Literatur begegnet, dann meistens in Zusammenhang mit seinen Bemühungen um einen religiösen Neubeginn oder gelegentlich in der Wagner- oder Nietzscheliteratur. Sein Buch über Plotin wird auch des öfteren erwähnt. Die Aufmerksamkeit, die die „Christusmythe“ vor dem ersten Weltkrieg auf sich zog, ist seitdem erloschen. In den angelsächsischen Ländern allerdings wird die „Christusmythe“ noch wahrgenommen. Leider ist es auch so, dass dabei mit abschätzigen Bemerkungen seitens der Theologie nicht gespart wird. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit in Deutschland ist die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu fast nicht vorhanden, als rühmliche Ausnahme möchte ich hier den Theologen Detering aus Berlin anführen, der in seiner Webseite den Text des Drewsschen Buches über die Geschichte der Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu wieder zugänglich gemacht hat. Deschner in seiner Kirchengeschichte „Abermals krähte der Hahn“ lässt Drews zwar in seinem historischen Einleitungskapitel Gerechtigkeit widerfahren, teilt jedoch die Annahme der Ahistorizität Jesu nicht.

Das Schweigen der Universitätsphilosophie zu Drews ist auffallend, mir scheint es, dass man sich seiner schämt und auch die theologischen und sonstigen Vorurteile von Hartmann gegenüber übernommen hat. Beide Philosophen standen ja ausserhalb der Universitäten und hatten deshalb auch keine Schulen, die die Lehren der Meister hochhielten. Beide entfalteten eine beträchtliche Wirksamkeit in der Öffentlichkeit, die vielen Professoren versagt blieb, aus welchen Gründen auch immer. Es war nun leicht, Drews als Dilettanten abzutun, wie es ja auch bei Richard Wagner der Fall war seit Thomas Manns berühmten Aufsatz aus dem Jahre 1933. Drews war kein Theologe und äusserte sich zu Fragen, die die Kirche und die Theologen als ihre wesentlichen ansah. Drews war kein Altphilologe und nahm Stellung zu Fragen der Astronomie und Mythologie, die ja in die Zuständigkeit der Altphilologen und auch der Germanisten fiel. Drews war kein Musikwissenschaftler und schrieb über Wagner, der ja als Gegenstand der Literaturwissenschaften erst seit kurzem existiert. Drews war kein Psychologe, und dennoch veröffentlichte er ein dickes Buch über die Psychologie des Unbewussten. Überdies war er ja durch seine Gegnerschaft zu Nietzsche und seine Wertschätzung für das Werk Wagners als Wagnerianer abgestempelt und somit auch wieder für die sehr mächtige Nietzschetradition nicht nur in der Philosophie, sondern auch im gesamten deutschen Geistesleben einfach nicht existent – solche Abweichungen von der communis opinio brauchen eben nun einmal nicht ernstgenommen zu werden. Hinzu kommt, dass Drews, obwohl er kein Mitglied der NSDAP war, in seinem letzten Buch sich Sympathie und Hoffnung für die Zukunft über die neuen Herren Deutschlands aussprach. Man wird wohl annehmen können, dass Drews dabei nicht auf Gegenliebe gestoßen ist, denn allein die Tatsache, dass keiner seiner alten Verleger seine „Deutsche Religion“ bringen wollte, spricht Bände. Damit wäre in der Bundesrepublik das Urteil gesprochen gewesen, wenn es noch eines solchen bedurft hätte. Die Tradition des Totschweigens oder der verfälschenden Widergabe der von Drews vertretenen Positionen wurde denn dann auch in Nachschlagewerken fortgesetzt, in Ziegenfuss Philosophenlexikon von 1949 werden lediglich Geburts- und Todesdatum mitgeteilt und eine unvollständige Bibliographie gegeben, während der Artikel in der Neuen Deutschen Biographie von Professor Lübbe deutlich diskreditierende Züge trägt.

Bevor ich zum Schluss komme und Ihnen meine Ansicht darüber, warum sich eine Beschäftigung mit Drews lohnt und welche Arbeiten hier noch zu leisten sind, mitteile, kurz noch einige Eindrücke zum Menschen Drews. Zuerst sollte der Gerechtigkeit halber, nachdem ich gerade eine Andeutung über Drews und den Nationalsozialismus gemacht habe, auch sagen, dass Drews sich öffentlich gegen den gewaltig anwachsenden Antisemitismus in den Zwanzigerjahren ausgesprochen hat. Als Wissenschaftler war er sehr sachlich und aufrichtig und erlaubte sich seinen Gegnern gegenüber nicht solche Ausfälle, wie sie es ihm gegenüber taten. Diese Integrität wird auch von Willi Hellpach in seinen Memoiren bestätigt, und dies, obwohl Drews ja ein Gegner der Habilitation Hellpachs in Karlsruhe war. Drews hatte einige Freundschaften, die wohl auch lange hielten, so mit Albert Schweitzer, mit dem er ja sicherlich auch Differenzen hatte. Der einzige Philosoph, den er als seinen Schüler hätte bezeichnen können, Leopold Ziegler, entfernte sich von ihm, was sich mit Zieglers kritischem Buch über von Hartmann verstärkte. Später muss es wieder zu einer Annäherung gekommen sein, wie aus einer seinerzeit ausgestellten Dankespostkarte von Drews an Ziegler für Glückwünsche zum 60. Geburtstag hervorging. Drews trat mit grossem Temperament für seine Anschauungen ein und musste sich schon von von Hartmann Aufforderungen zur Mässigung in diesem Punkt gefallen lassen. Ebenso mahnte ihn der Ältere, etwas für seine Karriere zu tun, indem persönliche Bekanntschaften mit Philosophen anderer Universitäten gepflegt werden. Drews sprach wohl viele Sprachen oder war wenigstens in der Lage, in ihnen verfasste Literatur zu lesen. Er sammelte auch japanische Farbholzschnitte, diese Sammlung ging dann in das Eigentum der Stadt Karlsruhe über. Als junger Mensch wird er als „hochbegabt, geistreich, temperamentvoll, liebenswürdig, untermischt zuweilen mit einem Zug leisen Spottes, ehrgeizig, sehr fleißig und mit einer ungeheuren Arbeitskraft ausgestattet“ geschildert. Zeugnisse zur Person Drews darüber hinaus sind mir nur wenige bekannt, Herr Dr. Gabowitsch teilte mir seinerzeit eine reizende kleine Geschichte mit, und der erwähnte Theologe Detering führt in seinen Zeugnissen zur Lebensgeschichte des niederländischen Theologen und Kampfgenossen von Drews van den Bergh van Eysinga das Urteil auf, Drews sei ja ein netter Kerl, nur manchmal etwas vorlaut. Drews war verheiratet und hatte laut Neuer Deutscher Biographie zwei Töchter und einen Sohn.

Warum lohnt sich denn heute eine Beschäftigung mit Arthur Drews und seinem Werk? Ich denke, aus mehreren Gründen. Der eine liegt im Inhalt seiner Schriften, der zumindest teilweise noch von Interesse ist, nicht nur für Spezialisten. Hierzu zähle ich die Monographie über Wagner, die Arbeiten zur Astralmythologie sowie zur Entstehung des Christentums und zur historischen Existenz Jesu. Es lohnt sich, sich mit den vorgebrachten Argumenten wie auch mit der Fragestellung selber auseinanderzusetzen. Wenn man heute generell unter anderen Gesichtspunkten an die von Drews behandelten Probleme herangeht oder die Drewsschen Ausgangspositionen und Argumente für überholt hält, so ist nicht von vornherein klar, dass eine solche Haltung berechtigt ist. Zur Illustration: ist es wirklich so, dass die Frage nach der Historizität Jesu absolut geklärt und obendrein noch so nebensächlich ist, wie man in Gesprächen mit Theologen zu hören bekommt? Hier lohnt eigenes Nachdenken.

Zum anderen existieren historische und soziologische Gründe, sich mit Drews zu beschäftigen. Drews war ja eine in der Öffentlichkeit sehr aktive Person, und die Beziehungen zu seinem Publikum und die Rückwirkungen dieser Beziehungen auf sein Werk und sein weiteres Wirken sind sicherlich ein faszinierendes Kapitel der Zeitgeschichte. Zudem ist nur recht wenig über das geistige Umfeld von Drews Aktivitäten bekannt, ich verweise auf den Monistenbund oder den Tatkreis aus dem Diederichsverlag. Drews, entschlossen zu öffentlichem Wirken, musste sich ja auch erst ein Publikum erschliessen. Wie ging er dabei vor? Was hat er erreichen wollen? Wie hat sich sein Publikum gewandelt? Hat er um der öffentlichen Wirksamkeit willen Zugeständnisse gemacht? War Drews ein Einzelfall, gab es andere Philosophen, die ähnliche Absichten hatten? Wie sah seine Umwelt diese Bemühungen? Ist das abschätzige Urteil der Nachwelt in der Tat berechtigt?

Ich möchte zum Schluss kommen. Was wäre noch zu tun, um Drews eine gerechtere Würdigung als bisher angedeihen zu lassen? Eine ausführlichere Darstellung seines Lebens wäre dazu notwendig, mit der Erschliessung der Quellen. Hier existiert sicherlich noch einiges, auch wenn der Nachlass, zumindest der wissenschaftliche, wohl zum grössten Teil beim Brand der badischen Landesbibliothek im September 1942 vernichtet wurde. Was sich noch in Familienbesitz oder anderswo befindet, weiss ich nicht. Korrespondenzen befinden sich gewisslich noch viele in anderen Nachlässen, man müsste einmal eine Bestandsaufnahme machen. Ich denke hier an Wagnerschriftsteller, wie Schemann, den schon erwähnten Leopold Ziegler, den Diederichsverlag und andere. Was existiert an der Universität Karlsruhe noch an Akten? Viel elementarer, und dennoch ein Desideratum, ist ein Nachweis aller Veröffentlichungen und womöglich auch von Vorträgen. Hier könnte man sich ein Verdienst erwerben, eine Sammlung von Sonderdrucken findet sich als Grundlage hierfür in der Landesbibliothek in Karlsruhe. Dann müsste eine Darstellung der Inhalte in Zusammenhang mit der Zeit und dem Werk von Drews erfolgen, und die Beziehungen hierzu müssten klargelegt werden. Vielleicht nimmt sich ja jemand aus dem Auditorium dessen an., auch kleinere Arbeitsschritte sind sinnvoll. Diese Anregung möchte ich hier einfach zum Abschluss machen.

Meine Damen und Herren, ich bin am Schluss meiner Ausführungen angelangt und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Arthur Drews und die Bestreitung der Historizität von Jesus Christus.

Manuskript zu einem Teil des Vortrags am 13. November 2005 im Geschichtssalon von Potsdam.

Dr. Bernhard Hoffers, Lehrte

Drews‘ Argumentation bei der Bestreitung der Historizität von Jesus Christus, nach Christusmythe 1924:

  1. Vorchristlicher Jesuskult. Gestützt W.B. Smith und andere nimmt Drews einen Jesuskult vor Beginn unsere Zeitrechnung bei den Juden an. Er bezieht sich auf die geschichtliche Entwicklung des Messiasglaubens, wie er sich unter der persischen Herrschaft in Palästina veränderte. In dieser Zeit entwickelte sich der Messias vom König als Stellvertreter Jahwes, unter dem das Judentum wieder geeint in einem friedlichen Königreich leben werden, zu einem Sohn Gottes, der dann das endzeitliche Reich Gottes auf Erden aufrichten wird und als Richter bei der Auferstehung der Toten fungiert.
  2. Nach der Eroberung des persischen Reiches durch Alexander den Großen verbreiteten sich griechische Anschauungen im Orient, auch in religiöser Hinsicht. Drews bezieht sich hier auch auf Philo von Alexandria. Die Idee des göttlichen Mittlers, als Paraklet, Anwalt des Menschen bei Gott, der teils als persönlich, teils als abstrakte Idee, logos, aufgefasst wird, verschmilzt im Judentums mit der des Messias.
  3. Dies führt nun zu einem Kult, bei diese unterschiedlichen Traditionen zusammenlaufen in einer Vielzahl von Sekten mit Jesus als Gott, etwa die Essener. Die Existenz des jüdischen Jesuskults auch durch eine sprachliche Herleitung gestützt wird, bedeutet doch Josua soviel wie Jah – Hilfe, also unserem Gotthilf entsprechend. Daneben gibt es eine Vielzahl von Texten, die diese Annahme belegen. Die Idee des leidenden Messias floss mit dem Kultgott Jesus zusammen, der das Heil, die frohe Botschaft bringen sollte. Die frohe Botschaft ist darin zu sehen, dass der Messias schon da war, dass er sich geopfert hat, und dass das Gericht nahe ist, zu dem der leidende Gottesknecht zurückkehren wird, und durch das die ihm treuen an seiner Seligkeit teilhaben werden.
  4. Damit ist der Boden bereitet, auf dem sich das Christentum ausbreiten kann. Denn bei alledem handelt es sich um Vorstellungen, die vor Beginn unserer Zeitrechnung nachweisbar sind. Drews hat damit nachgewiesen, dass alle Inhalte der christlichen Religion vor deren ersten Auftreten bekannt waren, ohne dass man deshalb gleich die historische Existenz von Josua oder des Mithras der Mysterienreligion folgern könnte. Drews kommt damit zum zweiten Teil seiner Beweiskette, indem er sich, wie bereits viele andere vor ihm, fragte, wie es eigentlich um die behauptete Historizität Jesu Christi bestellt ist, die ja als Beweis für die Einzigartigkeit und die bevorzugte Stellung des Christentums unter den Religionen herhalten muss. Dazu unterzieht er sowohl die Bibel als auch die vermeintlichen außerchristlichen Zeugnisse einer kritischen Betrachtung.
  5. Die außerchristlichen Zeugnisse kommen für Drews nicht in Betracht, da die betreffende Stelle bei dem jüdischen Schriftsteller Josephus klar interpoliert ist, die bei Sueton angeführte Stelle für gefälscht angesehen wird, jeweils mit guten Argumenten gestützt, so dass nur noch Tacitus mit seinen Annalen und der Geschichte der neronischen Christenverfolgung näher betrachtet wird. Die Stelle wird ausführlich analysiert, und Drews kommt zu dem Ergebnis, dass die Erzählung in Widerspruch zu anderen Quellen steht, selbst in sich widersprüchlich ist und nichts für die Existenz Jesu Christi beweisen kann wegen des zeitlichen Abstandes des Tacitus zu den angeblichen Geschehnissen in Palästina 80, 90 Jahre zuvor. Darüber hinaus diskutiert Drews die bemerkenswerte Überlieferungsgeschichte des taciteischen Textes, der ja erst im 15. jahrhundert bekannt wurde. Vorher war die ganze Geschichte der neronischen Christenverfolgung unbekannt, so dass Drews in Würdigung aller Umstände zusammen mit dem Franzosen Hochart die Annalen für insgesamt gefälscht erklärt hat, was ihm viel Feindschaft eingebracht hat.
  6. Die Texte der Bibel werden von Drews eingehend auf ihre historische Beweiskraft hin betrachtet. Hier konnte er sich vielerlei Vorarbeiten, auch derjenigen der Theologen selbst, bedienen. Er analysiert die Apostelgeschichte, bemerkt zahlreiche geographische und chronologische Unstimmigkeiten, die fehlende Beziehungen zu den paulinischen Briefen, so dass der Apostel Paulus nicht der Verfasser sein kann, und hält die Apostelgeschichte, soweit es den historischen Hintergrund angeht, dem Josephus nachgebildet – in Übereinstimmung mit namhaften Theologen seiner Zeit. Drews würdigt dann die paulinischen Briefe, die synoptischen Evangelien, also Markus, Matthäus und Lukas ausführlich auf ihre historische Aussagekraft hin, und kommt zu dem Ergebnis, dass es eine solche nicht gibt. Die Widersprüchlichkeit der Erzählungen, ihre krasse Unmöglichkeit, die Abhängigkeit von alttestamentarischen Vorbildern führen ihn unter anderem zu dieser Ansicht. Er setzt sich dabei detailliert mit den sehr umfangreichen theologischen und historischen Argumenten der Befürworter der Geschichtlichkeit auseinander und stellt fest, dass die Existenz Jesu Christi immer a priori vorausgesetzt wird und nie das Ergebnis einer unvoreingenommenen Untersuchung ist.
  7. Im römischen Weltreich fand ein lebhafter Austausch von Ideen und Menschen statt. Die Verehrung des Kaisers ist eine Facette des damaligen Zeitgeistes, der Vermischung von weltlichen und religiösen Begriffen nach unserem heutigen Verständnis, und so sieht Drews den Boden sozusagen homogenisiert und vorbereitet für den Sieg einer Religion, die dann wegen der Ähnlichkeit zu anderen gleichzeitig existierenden, etwa der Mithrasreligion, diese aufsaugen und später dann ihre Einzigartigkeit behaupten kann.

Ich möchte hier auf Einzelheiten nicht weiter eingehen, sondern nur einen für Drews ganz wesentlichen Punkt seiner Argumentation in bezug auf die historische Aussagekraft der Evangelien Ihnen bekannt machen, wie sie Drews in seinen Büchern „Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu“, 1921, 2. Auflage 1928, und „Der Sternhimmel in Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums“, 1923, ausgeführt hat . Nach seiner Meinung lässt sich die evangelische Erzählung des Markus aus dem Sternenhimmel ablesen. Eine vorgefertigten Mustern nachgebildete Erzählung kann natürlich keine historische Wirklichkeit beanspruchen. Drews wird damit einer der letzten Vertreter der so genannten Astralmythologie, das heißt, der Anschauung, dass sich wesentliche Inhalte der Mythen aus dem Gang der Gestirne am Himmel ableiten lassen. Astralmythologie war zu seiner Zeit ein Thema, das viel Beachtung fand, bei den Assyriologen Jensen und Winckler, dem Schriftsteller Stucken mit seinen „Astralmythen“, auch bei Philologen wie Boll oder dem Russen Morosov. Der Urheber dieser Richtung ist der Franzose Dupuis, der in den Neunzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts sein Riesenwerk „Origine de Tous les Cultes“ erscheinen lässt. Dies Werk ist, trotz des vehementen Eintretens von Drews, der seine Bedeutung klar erkannte, unbeachtet geblieben. Ein von Dupuis selbst hergestellter Auszug erschien 1910 auf Deutsch unter dem Titel „Ursprung der Gottesverehrung“. Die astrale Betrachtungsweise der Evangelien beruht darauf, dass in anderen Religionen der Zeit astrale Bezüge klar zu erkennen sind. Kurz gesagt handelt es sich darum, dass der Sonnenheld zur Winterszeit stirbt und dann wieder aufersteht, um Leben zu spenden. Die astralen Bezüge sind recht leicht zu erkennen im Mithraismus und seinen bildlichen Darstellungen, etwa dem Neuenheimer Altar im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Auf ihm opfert Mithras den Stier, und auf der figürlichen Darstellung findet sich das Geschehen am Sternenhimmel wieder: der Skorpion nimmt dem Stier die Lebenskraft, in dem er ihm die Fortpflanzungsorgane frisst, gleichzeitig sind Rabe, Löwe, Schlange und zwei Fackelträger zu sehen, Sternbilder, die sich zur Zeit der der Frühjahrstagundnachtgleiche am Himmel befinden. Ein Hinweis auf astrale Bezüge im Christentum ist das Weihnachtsdatum, das etwa mit der Wintersonnenwende zusammenstimmt. Die astronomische Bestimmung des Osterdatums ist ja geläufig, wie verträgt sich das mit der angeblichen historischen Wirklichkeit der Ereignisse?

Wir müssen uns mit einigen astronomischen Grundlagen befassen, da man diese Kenntnisse nicht unbedingt voraussetzen kann. Die Himmelskugel wird ja, analog zur Erde durch eine Achse, um die sich ja scheinbar dreht, charakterisiert. Der Durchstoßpunkt dieser Achse ist der Himmelspol. Senkrecht auf dieser Achse steht die Äquatorebene, deren Schnitt mit der Himmelskugel den Himmelsäquator bildet. Die scheinbare Bahn der Sonne auf der Himmelshalbkugel wird Ekliptik genannt. Entlang der Ekliptik befinden sich die zwölf Tierkreisbilder, der Zodiakos. Für die Menschen vor drei- oder viertausend Jahren war nun der Gang der Sonne durch den Himmel in den Jahreszeiten die die Landwirtschaft und damit die eigenen Lebensgrundlagen bestimmende Erscheinung. Eine Zeitrechnung wie auch die Orientierung im Raum wurden auf Grundlage der Bewegung der Gestirne etabliert und von Generation zu Generation weitergegeben und ausgeschmückt oder verändert. Um Ordnung auch in den Himmel zu bringen, wurden die einzelnen Sterne zu Sternbildern zusammengefasst, denen anschauliche Namen gegeben wurden. Ihre Bewegungen, das erstmalige Auftauchen am Himmel, die Kulmination und das Verschwinden, boten feste aber vielfältige Beziehungen zueinander, die eine reich variierte Wiedergabe des Himmelsgeschehens erlaubten. Nahm man noch die Möglichkeiten, himmlische Stellvertreter mit zu berücksichtigen, also Sternbilder, die zur gleichen Zeit erschienen, kulminierten oder untergingen, dazu, ergab sich eine fast unüberschaubare Mannigfaltigkeit, um das Himmelsgeschehen erzählen zu können. Da das gesamte Gebiet der Astralmythologie den meisten von Ihnen völlig unbekannt sein dürfte und Ihnen fremdartig vorkommen dürfte, möchte ich es damit bewenden sein lassen und Ihnen nur andeutungsweise die astrale Bedeutung des Beginns des Markusevangeliums erzählen, die von Johannes dem Täufer und seinem Aufruf zur Buße handelt. Die Buße findet durch rituelle Waschungen statt, die Drews mit der Wasserregion der Sternkarte in Verbindung bringt, in seiner Darstellung sieht sie so aus. Bootes, der Rufer, kulminiert, und verkündet das Erscheinen der neuen Jahressonne im Zeichen des Steinbocks. Bootes ist der Täufer, der Fluss Jordan, in dem die den Juden übrigens unbekannte Flusstaufe stattgefunden haben soll, wird mit dem himmlischen Fluss Eridanus in Verbindung gebracht.

Die astrale Betrachtungsweise von Drews fand weiter keine Beachtung, zum einen, weil sie in ihrer inneren Logik nicht unbedingt zwingend ist, geht es doch um komplizierte Vorgänge am Sternenhimmel, bei denen wegen der Stellvertretung des Sternbilder untereinander bei Aufgang, Kulmination und Untergang viele Kombinationsmöglichkeiten existieren. Die Überlieferung der Sternbilder ist vielfältig, für ein- und dasselbe Sternbild gibt es viele Bezeichnungen und Ausdeutungen. So ist nicht möglich, mit zwingender Beweiskraft eine Ausdeutung eines Textes als die einzig mögliche hinzustellen. Drews war sich dessen sehr wohl bewusst. Zum anderen bemühten sich Philologen und Archäologen, bei denen die offizielle Erforschung des antiken Sternhimmels angesiedelt war, nicht bei den Theologen anzuecken und standen Ideen, die dazu Anlass geboten hätten und überdies auch die Fachgrenzen überschritten hätten, ablehnend gegenüber. Der große Franzose Dupuis, ein Kind der Aufklärung, wurde und wird ignoriert, was sich in einem bekannten Buch über Astralmythologie, „Hamlet’s Mill“ von de Santillana und von Dechend, wiederholt. Trotz der allgemein ablehnenden Haltung der Fachwelt astralmythologischen Gedankengängen gegenüber ist aber, wie ich denke, das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen, und die Drewsschen Arbeiten lohnen immer noch eine Beschäftigung mit ihnen und auch ihrem Autor.

Auswahlbibliographie zum Vortrag

Biographisches zu Arthur Drews:

Drews, A.: Selbstdarstellung. – In: Schmidt, R. (ed.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 5, 67 – 128, Leipzig (Meiner), 1924.

Mutter, R. & Pilick, E. (ed.):  Arthur Drews Eduard von Hartmann, Philosophischer Briefwechsel. – VIII, 469 S., Rohrbach (Guhl), 1995.

Bautz, F.W.: Drews, Arthur. – Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd I, Sp. 1381 – 1382, 1990. (www.bautz.de/bbkl, 14.1.2003)

Frey, C.: Arthur Drews (1865 – 1935). –  Die Pyramide (Wochenschrift zum Karlsruher Tageblatt, 24. Jg., Nr. 43 vom 27. Okt. 1935.

Groos, H.: Arthur Drews Altonaer Anfänge und Bilanz seines Schaffens. – Altonaische Zeitschr. F. Geschichte u. Heimatkunde IV, 136 – 150, 1937.

Ungerer, E.: Arthur Drews. – Die Bad. Schule 2, 294 – 300, 1935.

Nachwirkung in russischer Literatur:

Haber, E.C.: The mythical Bulgakow: The Master and Margarita and Arthur Drews’s The Christ Myth. – Slav. A. East Europ. J. 43, 347 – 360, 1999.

Bücher von Drews zur Historizität Jesu Christi und eine Auswahl der von ihm herangezogenen Literatur:

Drews, A.: Die Christusmythe. – XII, 190 S., Jena (Diederichs), 1909.

Drews, A.: Die Christusmythe. – 4. A., 239 S., Jena (Diederichs), 1924.

Drews, A.: Die Christusmythe, Zweiter Teil, Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesu. – XXII, 452 S., Jena (Diederichs), 1911.

Drews, A.: Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu. – 325 S., 12 Abb., 12 Sterntafeln, Jena (Diederichs), 1921.

Drews, A.: Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu. –  2. A., 386 S., 13 Abb., 12 Sterntafeln, 1 Porträt, Jena (Diederichs), 1928.

Drews, A.: Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu in Vergangenheit und Gegenwart. – VIII, 235 S., Karlsruhe (Braun), 1926. (Wissen und Wirken 33, hrsgg. V. E. Ungerer) (www.radikalkritik.de, 15.11.2005)

Drews, A.: Die Entstehung des Christentums aus dem Gnostizismus. – 389 S., Jena (Diederichs), 1924.

Robertson, J.M.: Die Evangelienmythen. – 241. S., Jena (Diederichs), 1910.

Smith, W.B.: Ecce Deus. – XVI, 316 S. 7S. Namen- und Stellenverzeichnis, Jena (Diederichs), 1911.

Kalthoff, A.: Die Entstehung des Christentums. Neue Beiträge zum Christusproblem. – IV, 155 S., Leipzig (Diedrichs) 1904.

Auswahl von Schriften zur Astralmythologie und deren Grundlagen:

Dupuis, Ch.-F.: Ursprung der Gottesverehrung. Deutsche Ausgabe von F. Streißler. – 347 S., Leipzig (Eckardt), 1910. (Abrégé de L’Origine de Tous Cultes, 1798.)

Morosov, N.: Die Offenbarung Johannis. Eine astronomisch – historische Untersuchung. Mit einem Geleitwort von Arthur Drews. – XX, 229 S. 47 Abb., Stuttgart (Spemann), 1912.

Drews, A.: Der Sternhimmel in der Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums. Eine Einführung in die Astralmythologie. – 316 S., 25 Abb., 12 Sterntafeln, 1 Porträt, Jena (Diederichs), 1923.

Santillana, G. de & Dechend, H. von: Hamlet’s Mill. An essay on myth and the frame of time. – XXV, 505 S., Abb., Boston (Godine), 2002. (Nachdr. d. 1. A. 1969).

Gundel, H.G.: Zodiakos. Tierkreisbilder im Altertum. Kosmische Bezüge und Jenseitsvorstellungen im antiken Alltagsleben. – 358 S., 258 Abb., 8 T., Mainz (von Zabern), 1992. (Kulturgeschichte der alten Welt, Bd. 54).

Künzl, E.: Himmelsgloben und Sternkarten. Astronomie und Astrologie in Vorzeit und Altertum. – 128 S., Abb., Stuttgart (Theiss), 2005.

Englische Zusammenfassung

von Klaus Schilling auf Michael Hoffmans’s Webseite.

Ausführliche Darstellung von Leben und Werk Arthur Drews‘ (englisch)

Von R.O. Orlean, July 25, 2012

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