Prof. Mark Goodacre und die Jesus-Mythicists

In seinem NT-Pod vom 9. Januar 2011 spricht Prof. Mark Goodacre (Duke University) in einem 13-minütigen Beitrag über die Frage „Did Jesus exist?“ Er nimmt darin vor allem auf die in England/USA erschienenen  Publikationen von  G.A. Wells (der in Goodacre’s Beitrag im O-Ton zu hören ist!) und Freke-Gandy’s „Jesus Mysteries“ Bezug.  Goodacre’s Haupteinwand gegen die „Mythicists“: Sie würden das Kind mit dem Bade ausschütten. Es gehe nicht an, die Gestalt Jesu wegen der vielen mythologischen Züge in den Evangelien für unhistorisch zu erklären. Für den Historiker der Antike sei es ein bekanntes Phänomen, dass  Personen wie Jesus „nur in der Erinnerung derer überlebten, die darüber sprechen“; im speziellen Falle sei die Erinnerung an Jesus nach der Auferstehung durch mythische Elemente angereichert worden, mit anderen Worten: Der Mythos habe die Geschichte vom Menschen Jesus  aufgesogen bzw. „kontaminiert“.

Dies eine Ansicht, die mir noch – obschon in anderer sprachlicher Gewandung – aus den ersten neutestamentlichen Proseminaren vertraut ist, mich aber nie recht überzeugen konnte, weil sie das Kernproblem  elegant umschifft. Damit die Erinnerung an eine menschliche Person durch den Mythos „kontaminiert“  werden kann, muss diese überhaupt erst existieren. Woher aber weiß ich, dass ich es nicht mit einer Selbsttäuschung zu tun habe, wenn nach Wegnahme aller als „kerygmatisch“ angesehenen Bestandteile, aller mythischen Elemente, aller „Rückprojektionen“, aller volkstümlichen Verschiebungen und „Anreicherungen“ von einem „Leben Jesu“ gar nichts bleibt, was mir das Recht gäbe, eine historische Person vorauszusetzen  (vgl. den folgenden Beitrag)? Müsste es nicht die Aufgabe der Exegeten sein, erst einmal einige unzweifelhaft historische Eckdaten aus dem Leben des Mannes aus Nazaret auf den Tisch zu legen, bevor sie uns darüber aufklären, in welchen mythologischen Bildern die frühe Christengemeinde die Bedeutung dieser vermeintlich historischen Person ausgesagt habe? Welche unzweifelhaft historischen Data aber gibt es über Jesus? Nach meiner Auffassung gibt es keinen einzigen Zug im Jesusbild  der Evangelien, für den das antike religiöse Umfeld nicht eine entsprechende Parallele böte – und das gilt selbst für den „Fresser und Weinsäufer“ von Lk 7:34/Mt 11:19 (siehe G.A. van den Bergh van Eysinga: Hercules – Christus).

Auch auf das Schweigen des Paulus über Jesus geht Goodacre ein. Für ihn erklärt es sich aus dem „Gelegenheitscharakter“ der von Paulus verfassten Briefe. Da sie nur Ausschnitte der Wirklichkeit böten, seien persönliche Aussagen von vornherein nicht zu erwarten. Wirklich?  In der persönlichsten aller literarischen Gattungen sollten wir kein persönliches Wort des Paulus über die Person Jesu  erwarten dürfen?

Goodacres Beitrag ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, weg vom Totschweigen und Ignorieren, hin zu  einer offenen Auseinandersetzung mit den radikalkritischen Bestreitern  eines geschichtlichen Jesus, die, Gott sei Dank, doch noch nicht ganz ausgestorben sind. Doch leider hat Goodacre sich nicht die Mühe gemacht, ein wenig tiefer in deren Argumentation einzudringen. Wer die auf dieser Webseite versammelten Beiträge zumal niederländischer, aber auch deutscher, englischer und amerikanischer Wissenschaftler kennt, wird durch seinen Beitrag nicht überzeugt werden können. Man lese nur die geist- und materialreichen Aufsätze G.A. van den Bergh van Eysingas (ein Zeitgenosse Bultmanns!) aus seinen nach dem Krieg erschienenen Godsdienstwetenschappeilike Studiën oder sein von Frans Joris Fabri ins Deutsche übersetztes schönes Büchlein „Lebt Jesus – oder hat er nur gelebt?“ Verglichen mit dem anspruchsvollen und kultivierten Bild, das der niederländische Radikalkritiker von der Geschichte des frühen Christentums zeichnet, muten Goodacre’s Argumente ein wenig hausbacken an.

Obwohl Goodacre hörbar um einen guten, moderaten Ton bemüht ist, kann auch er nicht umhin, am Ende einen alten Hut aus der Mottenkiste der antiradikalen Polemik aufzuwärmen. Er wirft den Radikalen übertriebenen Skeptizismus vor, sie besäßen keinen „healthy scepticism“ – also wohl einen ungesunden, krankhaften.  Wer die Evangelien unbefangen lese, könne auf jeder Seite den Eindruck einer wirklichen historischen Person herausspüren. – Jo mei, als ob es in der Wissenschaft, wo einzig und allein die Tatsache zählt, ob eine These gut oder schlecht begründet ist,  je einen „gesunden“ oder einen „ungesunden“ methodischen Zweifel gegeben hätte oder geben könnte. Hätten andere an so etwas geglaubt, wäre die Erde für uns immer noch eine Scheibe.  Und was den Eindruck einer wirklichen Person mit einem wirklichen Profil betrifft, der sich beim Lesen der Evangelien unwillkürlich einstellen soll, so mag dieser überwiegend auf Selbsttäuschung beruhen.  Bei der Lektüre von „Vom Winde verweht“ oder „Die Leiden des jungen Werther“ mögen viele Leser ebenfalls das Gefühl verspürt haben, es bei Rhett Butler und Scarlett O´Hara oder Lotte und Werther mit „wirklichen Menschen“ zu tun zu haben (viele haben ihretwegen Tränen vergossen und einige sich sogar wegen Werthers Tod  das Leben genommen). Aber haben diese Personen deswegen (d.h. weil die Verfasser dieser Bücher in der Lage waren, plastische Charaktere zu zeichnen) wirklich gelebt? – Die Verfasser der Evangelien können und wollen übrigens  in literarischer Hinsicht auch gar nicht mit Goethe oder Margaret Mitchell mithalten. Wer genauer hinblickt, erkennt überall, dass das Bild ihres Jesus  sich von dem eines wirklichen Menschen doch sehr unterscheidet. Nicht nur, weil er über Wasser gehen und Tote auferwecken kann. Dieser Jesus ist kein Mensch im gewöhnlichen Sinne des Wortes, d.h. ein Mensch mit seinen Stärken und Schwächen. Er steht außerhalb der Menschheit. Überall überwiegt das Typische, Ideale. Der Logos auf Erden! Keine einzige antike Christusdarstellung zeigt einen Menschen mit individuellem Aussehen und charakteristischem Profil. Als „Guter Hirte“ ist Jesus nur eine von vielen antiken Heilandsgestalten.

Nun, Goodacre hat einen Anfang gemacht – und das ist gut so. Es wäre zu wünschen, dass andere Mainstream-Theologen (auch  in Deutschland) ihm folgen und ihren theologischen Elfenbeinturm für eine Weile verlassen, um sich ernsthaft den „Mythicists“ und deren Anfragen zu beschäftigen (natürlich werden sie einen  Teufel tun!). Goodacre’s Beitrag ist also in jedem Fall sehr hörenswert – und sei es auch nur, um andere davon zu überzeugen, dass die Verteidiger der Historizität des Streetworkers aus Nazaret damals wie heute verdammt schlechte Karten haben.

Aber ganz im Ernst: Vielen Dank, Prof. Goodacre!

Hier der NT-Pod von Mark Goodacre:

NT Pod 47: Did Jesus exist? (mp3)

Erstveröffentlichung 02.02. 2011
In his 13-minute- NT-Pod on 9th January, 2011, prof. Mark Goodacre (Duke University) speaks about the question “ Did Jesus exist? “ He particularly refers to the works (published in England / USA) of G.A.Wells – who is heard in his own voice – and Freke & Gandy’s „Jesus Mysteries“. Goodacre’s main objection against the „Mythicists“: They would pour out the child with the bathwater. It won’t do, he says, to deny the historicity of the Jesus character because of a great number of mythological traits in the Gospels. For the historian of antiquity it be a well-known phenomenon, that persons like Jesus „only survived in the minds of those who talk about them“; in the case in question, after the resurrection the reminiscence of Jesus had been expanded by mythical elements, in other words: The myth had soaked up or „contaminated“ the historical biography of the human Jesus.

This is an opinion which has been familiar to me – although expressed in different words – from the time of my first NT proseminars, but which could never really convince me because it elegantly steers around the core of the problem. For a myth to be able “to contaminate” the reminiscence of a human person, first of all that human being must have existed. But then, how do I know that it is not a self-delusion to say that after erasing all „kerygmatic“ parts, all mythical elements, all „backward projections”, all popular adjustments and „enrichments“ of a „life of Jesus“ nothing at all will be left that would give me the right to assume a historical person? (cf. the following artcle [FJF: i.e. the essay about Theissen/Merz]) Would it, however, not be up to the exegetes to first of all lay on the table some doubtless historical basic features of the life of the man from Nazaret, before they enlighten us about what mythological symbolism the early Christian communities used to explain the importance of this putative historical person? Which doubtless historical data, however, are there about Jesus? In my view, there is no trait in the Jesus figure of the Gospels for which the religious sphere of antiquity does not offer a suitable parallel – and this is true even for the „glutton and drunkard “ from Mt 11:19 (see G.A. van den Bergh van Eysinga: Hercules – Christus).
http://www.hermann-detering.de/Hercules_dtsch.pdf

Goodacre also deals with Paul’s silence about Jesus. To him this is easily explained by the „occasional character“ of Paul’s letters. Since they just offered details of real life, one should not expect personal statements at all. Really? In the most personal of all literary genres we shouldn’t be allowed to expect any personal word of Paul’s about Jesus?Goodacres contribution is a good step in the right direction, away from hushing up and disregarding the radical-critical denyers of an historical Jesus and towards an open discussion with them who, thank God, have not yet completely become extinct. Unfortunately, however, Goodacre has not made the effort of penetrating a little deeper into their argumentation.  Those that know the articles gathered on this web page, especially by Dutch, but also by German, English and American scholars, will not be convinced by his opinion. One may only read the essays -rich in material and rich in
spirit- by G.A. van the Bergh van Eysinga (a contemporary of Bultmann!) taken from his periodical ‘Godsdienstwetenschappelijke Studiën’ which appeared after the war, or his beautiful booklet “ Is Jesus alive – or has he only lived? “ translated from the original Dutch into German by Frans Joris Fabri. See: http://www.hermann-detering.de/Lebt%20Jesus%20oder.pdf Compared with the demanding and sophisticated picture the Dutch radical critic of the history of early Christianity draws, Goodacre’s arguments
appear a little homespun.

Although Goodacre obviously endeavers to talk moderately, he nevertheless ultimately cannot but warm up an old relict taken from the anti-radical polemics. He accuses the radicals of excessive sceptcism, theirs not being a „healthy scepticism“; —perhaps an injurious, a morbid one? Whoever reads the Gospels impartially, so G., will perceive on every page the impression of a real historical person. – Well then! as if science, where solely facts decide whether a thesis is founded well or badly, there had ever been or
could have been a „healthy “ or an „unhealthy“ methodical doubt. Had others accepted such a thing, the earth would still be a disc to us . And what concerns the impression of a real person with a real profile which allegedly arises automatically while reading the Gospels , this may be predominantly based on self-deception. Reading “Gone with the Wind “ or “ Die Leiden des jungen Werther“ many readers may likewise have felt the feeling with Rhett Butler and Scarlett O’Hara or Lotte and Werther of having to do with „real people “ (many have poured tears because of them and some even made an end
to their own life because of Werther’s death). However, have these persons for that reason (i.e. because the authors of these books were able to draw vivid characters) really lived? – By the way, the authors of the Gospels cannot and do not want at all to keep up in literary respect with Goethe or with Margaret Mitchell. Those that look sharper recognize nevertheless everywhere that the Gospels’picture of Jesus is quite different from of a real person . Not only because he walks on water and can rise the dead. This
Jesus is no a human being in the usual sense of the word, i.e. a person with his strengths and weaknesses. He stands beyond humanity. Everywhere the typical, the ideal predominates. The Logos on earth! No ancient representation of Christ shows a person with individual looks and a distinctive profile. As a “ good shepherd “ Jesus is just one of many ancient Savior figures.

Now, Goodacre has made a beginning – and that’s a good thing. It would be even more so, if other mainstream theologians (also in Germany) followed him and left their theological ivory tower for a while to occupy themselves wholeheartedly with the „Mythicists“ and their inquiries (of course they won’t give a damm!).
In any case Goodacre’s contribution is really worth listening to, – and be it only to persuade others of the fact that the defenders of the historicity of the Streetworker from Nazaret had and have bloody bad cards then and now. But seriously: thanks a lot, prof. Goodacre!

NT Pod 47: Did Jesus exist? (mp3)

Translation : Frans Joris Fabri

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